Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Janusmann

Der Janusmann

Titel: Der Janusmann
Autoren: Lee Child
Vom Netzwerk:
Gebäude zu stürzen. Nur war dies kein freier Fall. Es erschien mir, als landete ich in einer eiskalten, rutschigen Röhre und glitte mit dem Kopf voraus in einem steilen Winkel nach unten. Immer schneller werdend. Ich war mit dem Rücken ins Wasser geklatscht und hatte für Bruchteile einer Sekunde nichts gespürt. Nur das eiskalte Wasser in Ohren, Augen und Nase. Es ließ meine aufgeplatzte Unterlippe brennen. Ich trieb kaum einen Viertelmeter unter der Wasseroberfläche und hatte Sorge, gleich wieder aufzutauchen. Sie würden alle am Rand des Felsspalts stehen und mit ihren Pistolen ins Wasser zielen.
    Aber dann fühlte ich, wie meine Haare sich aufrichteten – eine kaum wahrnehmbare Empfindung – und mein Kopf erfasst wurde. Erst sehr sanft, dann etwas kräftiger und noch kräftiger. Ich spürte den Zug im Nacken. Als ob ich größer würde. Meine Arme, die bisher locker im Wasser gehangen hatten, wurden plötzlich über meinen Kopf nach vorn gerissen. So fiel ich von dem Gebäude. Mit einem flachen Sprung, den ich auf dem Rücken liegend absolvierte. Ich beschrieb einen perfekten Bogen und wurde schneller. Die Beschleunigung war viel höher als beim freien Fall durch die Luft.
    Ich konnte nichts sehen, wusste nicht, ob meine Augen offen oder geschlossen waren. Die Kälte war so betäubend und der auf meinen Körper ausgeübte Druck so stark, dass ich eigentlich nichts spürte. Um mich herum nur Schwärze. Ich hielt den Atem an. Alle Anspannung fiel von mir ab, und ich legte den Kopf in den Nacken, um das Wasser auf meiner Kopfhaut zu spüren. Streckte die Zehen. Machte ein Hohlkreuz. Streckte meine Arme weit nach vorn. Spreizte die Finger, um das Wasser durch sie hindurchströmen zu lassen. Alles fühlte sich sehr friedlich an. Ich war ein Geschoss, und das gefiel mir.
    Dann wurde mir bewusst, dass ich ertrank, und ich begann, mich dagegen zu wehren. Ich überschlug mich, und mein Mantel rutschte über meinen Kopf. Ich riss ihn mir vom Leib, während ich mich in der eiskalten Röhre weiter kreiselnd überschlug. Der Mantel wurde fortgerissen. Ich schlüpfte aus dem Sakko. Es verschwand ebenso. Ich spürte plötzlich die Kälte, konnte den wachsenden Druck in meinen Ohren spüren. Die Strömung riss mich tiefer und tiefer, während ich mich wie in Melasse gefangen langsam überschlug.
    Welchen Durchmesser hat die Röhre? Ich schlug verzweifelt mit den Beinen aus und krallte mit beiden Händen ins Wasser. Nicht in die Tiefe schwimmen. Ich strampelte, kämpfte und versuchte, den Rand zu finden. Führte dabei Selbstgespräche. Konzentrier dich. Finde den Rand. Bleib ruhig. Lass dich für jeden Meter, den du seitlich gewinnst, fünf Meter in die Tiefe reißen. Ich verharrte einen Augenblick, konzentrierte mich und begann, richtig zu schwimmen. Holte kräftig aus.
    Wie lange bist du schon unter Wasser? Vielleicht fünfzehn Sekunden. Die Luft anhalten konnte ich mindestens eine Minute lang. Entspann dich also. Schwimm zügig weiter. Finde den Rand. Die Röhre musste einen Rand haben.
    In welche Richtung schwimmst du? Unwichtig. Ich musste nur aus der Strömung herauskommen. Ich schwamm weiter. Spürte, wie das Wasser mich weiter mitreißen wollte. Biss die Zähne zusammen und schwamm weiter. Es war, als kröche ich mit tausend Tonnen Steinen auf dem Rücken über einen Fußboden. Meine Lunge schien zu bersten und brannte. Ich ließ etwas verbrauchte Luft entweichen. Strampelte weiter. Krallte mich durchs Wasser.
    Dreißig Sekunden. Ich ertrank. Das war mir klar. Meine Kräfte ließen nach. Meine Lunge war leer. Meine Brust schien erdrückt zu werden. Meine Magennerven verkrampften sich. Ich glaubte Harleys Stimme zu hören: Bisher ist noch keiner wieder aufgetaucht. Ich schwamm weiter.
    Vierzig Sekunden. Ich kam nicht vorwärts. Ich wurde weiter in die Tiefe gerissen. Strampelte weiter. Krallte mich ins Wasser. Fünfzig Sekunden . Meine Ohren dröhnten. Mein Kopf schien zerspringen zu wollen. Meine Lippen waren krampfhaft zusammengepresst. Ich war fuchsteufelswild. Quinn hatte es geschafft, sich aus dem Meer zu retten. Wieso schaffst du’s nicht?
    Ich strampelte verzweifelt weiter. Eine volle Minute. Dann spürte ich, wie das Wasser sich veränderte. Ich hatte den Rand erreicht. Ein Gefühl, als halte man sich aus einem fahrenden Zug heraus an einem Telegrafenmasten fest. Ich durchstieß die Wände der Röhre, und eine neue Strömung erfasste mich. Turbulenzen bewirkten, dass ich mich überschlug, während ich in
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher