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Der Janusmann

Der Janusmann

Titel: Der Janusmann
Autoren: Lee Child
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Wasser weitertrieb, das sich still und klar anfühlte.
    Klaren Kopf behalten. Wo ist oben? Ich schaffte es mit äußerster Selbstdisziplin, meinen wilden Kampf einzustellen. Ließ mich einfach nur treiben. Versuchte, meine Bewegungsrichtung zu erkennen. Ich kam überhaupt nicht voran. Meine Lunge war leer . Ich konnte nicht atmen . Ich hatte keinen Auftrieb. Ich bewegte mich nicht. Ich schwebte regungslos im Wasser. Ich öffnete die Augen. Starrte in alle Richtungen. Drehte mich im Kreis. Sah trotzdem nichts. Kam mir wie im Weltraum vor. Um mich herum tiefschwarze Nacht. Nicht der geringste Lichtschimmer. Bisher ist noch keiner wieder aufgetaucht .
    Ich spürte leichten Druck auf der Brust. Weniger auf dem Rücken. Ich lag mit dem Gesicht nach unten im Wasser. Schwebend. In dieser Haltung trieb ich sehr langsam aufwärts. Ich konzentrierte mich. Fixierte meine Position im Wasser. Machte einen Buckel. Scharrte mit den Händen. Trat mit den Beinen nach unten. Streckte die Arme nach oben aus. Und jetzt los!
    Ich schlug energisch mit den Beinen. Schaufelte mit gewaltigen Armbewegungen Wasser unter mich. Presste die Lippen zusammen. Ich hatte keine Luft mehr . Hielt meinen Kopf in den Nacken gelegt, damit ich die Wasseroberfläche mit dem Mund voraus durchbrechen würde. Wie weit noch? Über mir war alles schwarz. Ich befand mich eine Meile unter dem Meeresspiegel. Ich hatte keine Luft mehr . Ich würde sterben. Ich konnte die Lippen nicht länger zusammenpressen. Wasser drang in meinen Mund. Ich spuckte und schluckte. Strampelte weiter nach oben. Ich sah purpurrote Sterne vor den Augen. Mein Schädel dröhnte. Ich fühlte mich, als stünde ich in Flammen. Dann wieder, als erfröre ich. Im nächsten Augenblick war mir, als hüllten mich dicke, wundervoll weiche Federbetten ein. Ich spürte überhaupt nichts mehr.
    Nun hörte ich zu strampeln auf, weil ich mir ziemlich sicher war, gestorben zu sein. Ich öffnete also den Mund. Atmete Meerwasser ein. Meine Brust verkrampfte sich und hustete es wieder aus. Rein und raus, noch zweimal. Dann machte ich noch einen Beinschlag. Mehr schaffte ich nicht. Eine letzte Anstrengung. Ich legte alles hinein, was ich noch an Kraft besaß. Dann schloss ich die Augen und ließ mich treiben.
    Eine Sekunde später durchbrach ich die Meeresoberfläche. Ich spürte die Luft auf meinem Gesicht wie eine Liebkosung. Ich öffnete den Mund und holte gierig Luft. Dann kämpfte ich wie ein Berserker, damit mein Gesicht in der herrlich süßen Luft blieb. Ich strampelte, keuchte und atmete, prustete, schnaubte, hustete und würgte.
    Ich breitete die Arme weit aus, ließ meine Beine an die Oberfläche treiben und legte den Kopf mit weit offenem Mund in den Nacken. Beobachtete, wie meine Brust sich hob und senkte, füllte und leerte. Ich war erschöpft, und mein Gehirn gierte nach Sauerstoff. Also blieb ich eine Minute lang so liegen, um zu atmen. Allmählich konnte ich wieder sehen. Über mir erkannte ich tief hängende Wolken. Ich trat Wasser und versuchte die Kimm zu finden. Konnte sie nicht entdecken. Ich stieg und fiel mit den schnell aufeinander folgenden Wellen, machte ein paar Beinschläge und schaffte es, dass die nächste Woge mich auf ihrem Kamm in die Höhe trug. Starrte angestrengt in die Dunkelheit. Sah überhaupt nichts, bevor ich wieder ins Wellental hinabglitt.
    Ich hatte keine Ahnung, wo ich mich befand. Drehte mich neunzig Grad nach rechts, ließ mich von der nächsten Welle nach oben tragen und sah mich erneut um. Vielleicht gab es hier irgendwo ein Boot oder Schiff. Aber meine Hoffnung erfüllte sich nicht. Ich war mitten auf dem Atlantik allein. Hilflos treibend. Bisher ist noch keiner wieder aufgetaucht.
    Ich drehte mich um meine Achse, ließ mich wieder emportragen und schaute nach links. Nichts. Ich sank ins nächste Wellental hinunter, wartete auf die nächste Woge und blickte hinter mich.
    Ich war hundert Meter vom Strand entfernt. Konnte das Haus, die beleuchteten Fenster und die Mauer sehen. Ich zerrte mein Hemd über die Schultern. Es war nass und schwer. Dann holte ich tief Luft, wälzte mich auf den Bauch und begann zu schwimmen.
     
    Damals konnte jeder einigermaßen gute Olympiateilnehmer hundert Meter in ungefähr fünfzig Sekunden schwimmen. Ich brauchte dafür fast fünfzehn Minuten. Dann hatte ich endlich den Strand erreicht und klammerte mich an einen glitschigen Felsen. Ruhte mich eine Minute aus und kroch dann halb durchs Wasser platschend, halb über den Strand
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