Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Jäger

Der Jäger

Titel: Der Jäger
Autoren: Andreas Franz
Vom Netzwerk:
Unterschrift. Er faltete den Brief wieder zusammen, steckte ihn in den Umschlag und blieb eine Weile am Fenster stehen. Der Regen hatte nachgelassen. Er fuhr sich mit einer Hand über die Stirn und schüttelte kaum merklich den Kopf. Es war ein miserabler Tag gewesen, und er hatte inständig gehofft, der Abend würde besser werden. Zwei Jahre! Zwei Jahre hatte sie ihm vorgegaukelt, ihn zu lieben, auch wenn er diese Liebe eigentlich gar nicht wollte und genau wusste, dass es eine Lüge war, eine Lüge, die er ihr aber gerne verzieh. Zwei Jahre hatte sie immer wieder betont, er sei der einzige Mann in ihrem Leben, obgleich es ihm egal gewesen wäre, wenn es noch jemand anderen gegeben hätte und mit Sicherheit auch hatte. Zwei Jahre hatte er alles für sie getan, hatte ihr sogar diese Wohnung überlassen und alles, was sich darin bis vor wenigen Stunden noch befunden hatte, gekauft. Das verlorene Geld war es aber nicht, was ihn schmerzte, es war vielmehr die Demütigung, die aus ihren Zeilen sprach.
    Eine Demütigung, die er sicher irgendwie verkraften würde, wie alles in seinem Leben. Irgendwie und irgendwann. Auch wenn er in seinem tiefsten Innern schon lange gespürt hatte, dass das Ende ihrer Beziehung nur noch eine Frage der Zeit war, sie immer öfter Ausreden erfand, warum sie ihn nicht sehen konnte. Und jetzt war sie weg, wo, das wusste wohl nur sie allein.
    Er hatte sie geliebt, ihre Art, ihr Lachen, ihre Unbekümmertheit. Ihren Körper, den Duft ihres feurigroten Haares. Ihre Hände, wenn sie ihn streichelten, ihre Lippen, wenn sie ihn küssten. Nichts davon würde er jemals mehr erleben dürfen. Er war gescheitert wie schon so oft.
    Er drehte sich um, löschte das Licht, schloss hinter sich ab. Diesmal nahm er die Treppe, stieg in seinen Wagen, wendete und fuhr nach Hause in die riesige Villa mit dem ausgedehnten Grundstück und dem nierenförmigen Swimming-Pool, den sie im Sommer nutzten. Allerdings hatten sie auch noch einen etwas kleineren im Untergeschoss des Hauses für die kühleren Tage. Er wurde von vielen um diesen Besitz beneidet, doch im Grunde bedeutete er ihm nicht viel. Das, wonach er sich sehnte, war mit keinem Geld der Welt zu kaufen.
    Es war niemand da, das Hausmädchen hatte heute seinen freien Tag, kalter Rauch hing noch in der Luft. Ein Zettel lag auf dem Wohnzimmertisch, auf dem stand: »Liebling, ich bin mit Anna unterwegs. Es könnte etwas später werden. Ich liebe dich.« Er lächelte versonnen, knüllte den Zettel zusammen und steckte ihn in die Hosentasche. Er ahnte, nein, er wusste, dass sie nicht mit ihrer Freundin unterwegs war, dass sie diesen Abend woanders verbrachte; er konnte es ihr nicht verdenken. Er zog seinen Mantel aus, hängte ihn auf einen Bügel, setzte sich in den Sessel, legte den Kopf in den Nacken und spürte das Pochen des Blutes in seinen Schläfen. Er versuchte an nichts zu denken, abzuschalten, diesen Tag einfach aus seinem Gedächtnis zu streichen. Es gelang ihm nicht.
    Nach einigen Minuten stand er wieder auf, ging an das Barfach, holte sich eine Flasche Whiskey heraus und ein Glas und schenkte es halb voll ein. Er schüttete den Inhalt in einem Zug hinunter und schenkte gleich wieder nach. Das Telefon klingelte, er sah hin, ließ es klingeln, bis der Anrufbeantworter sich einschaltete. Er hörte die Stimme seiner Schwester, die ihn bat zurückzurufen. Er war müde und erschöpft. Eine große, tiefe Leere war in ihm, eine Leere, die er so gut kannte, die schon so oft sein Begleiter gewesen war. Eine Leere, die ihn nicht mehr klar denken ließ.
    Er trank die Flasche halb aus und schaltete den Fernseher ein. Irgendwann würde vielleicht auch einmal seine Zeit kommen. Nur wann?

Freitag, 22. Oktober, zwei Jahre später
     
    Erika Müller parkte den Mercedes vor dem Neubau mit den Eigentumswohnungen. Es regnete seit dem Nachmittag, ein kühler Nordwestwind trieb den Regen vor sich her, der Asphalt glänzte im Licht der Laternen. Sie hatte das Radio eingeschaltet, die Lautstärke gedämpft. Nur wenige Fußgänger kamen während der paar Minuten, die sie wartete, an ihr vorbei, die meisten zogen es vor, bei diesem Wetter zu Hause zu bleiben. Links von ihr erstreckte sich der Grüneburgpark, vor allem im Sommer ein Erholungsgebiet inmitten der hektischen Großstadt, wenn nicht gerade ein Open-Air-Konzert stattfand. Es war kurz nach neun, als ein Porsche neben ihr hielt. Sie stieg aus, schloss ihr Auto ab und setzte sich in den Sportwagen. Nach etwa zwanzig Minuten
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher