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Der Jäger

Der Jäger

Titel: Der Jäger
Autoren: Andreas Franz
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gelangten sie an ein altes, um die Jahrhundertwende errichtetes dreistöckiges Haus, das trotz der Dunkelheit und nur vom matten Schein der Laternen angeleuchtet ehrwürdig und erhaben wirkte. Sie fuhren durch ein schmales Tor in den Hof, die Scheinwerfer wurden ausgeschaltet. Hinter keinem der Fenster brannte Licht, worüber sie sich in diesem Moment jedoch keine Gedanken machte. Während der Fahrt hatten sie ein paar Belanglosigkeiten ausgetauscht, gelacht, hatten sich ihre Hände einige Male berührt. Sie stiegen aus, betraten die Wohnung im Erdgeschoss. Sie war luxuriös eingerichtet, dicke Teppiche, in denen man fast versank, kostbare Bilder an den Wänden, teure Möbel; alles hier roch nach Geld, Reichtum, Macht und Besitz.
    »Mach’s dir bequem, ich hol uns nur schnell was zu trinken. Wir haben einen ganzen Abend lang Zeit. Und dein Mann wird bestimmt nicht misstrauisch?«
    »Nein, der schläft mit Sicherheit schon«, antwortete Erika Müller und setzte sich in einen der butterweichen roten Ledersessel. Sie strich mit einer Hand über die Lehne. Wie aus dem Nichts erklang mit einem Mal leise Musik aus unsichtbarenLautsprechern, eine Musik, die zu dem gedämpften, warmen Licht passte. Sie sah sich um, dachte nur, sie würde sich nie eine solche Wohnung leisten können, solche Möbel, solch wertvolle Bilder, allein die Teppiche mussten ein Vermögen gekostet haben.
    »Gut, ich bin gleich zurück.«
    Nach wenigen Augenblicken standen eine Flasche Dom Perignon und zwei bereits gefüllte Gläser auf dem Tisch mit der Platte aus naturbelassenem Carrara-Marmor.
    »Lass uns anstoßen auf den Tag, an dem wir uns zum ersten Mal begegnet sind. Und auf unsere Freundschaft. Dein Kleid gefällt mir übrigens. Neu?«
    »Ja«, erwiderte Erika Müller, verlegen wie ein pubertierendes Mädchen lächelnd. Sie hob das Glas, trank es zur Hälfte leer, fühlte sich von einem Moment zum andern fast schwerelos, weil sie Alkohol nicht gewohnt war.
    »Soll ich dir das Schlafzimmer zeigen?«
    »Ich bin schon ganz gespannt darauf«, sagte Erika Müller, die das Gefühl hatte, von Sekunde zu Sekunde schwereloser zu werden, als würde ihre Seele Flügel bekommen. Alles in ihr kribbelte, ihr war ein wenig schwindlig wegen der Aufregung, wegen diesem ersten Mal, da sie ihren Mann betrog. Sie stand auf und folgte ins Schlafzimmer, einem Traum aus Blau und Rosé, mit dem riesigen Bett, den flauschigen Teppichen. Indirektes Licht verlieh diesem Raum etwas Romantisches, es lud förmlich ein, sich gehen und treiben zu lassen.
    »Möchtest du dich nicht ausziehen? Du bist sehr schön.«
    Sie lächelte verschämt, es war eine Ewigkeit her, seit ihr jemand zuletzt gesagt hatte, sie sei schön. Eigentlich hatte es noch nie jemand gesagt, hübsch ja, aber schön … Schön waren andere, eine Claudia Schiffer, eine Cindy Crawford, Madonna, Naomi Campbell … Aber eine Erika Müller? So farblos wie ihr Name war, so farblos hatte sie sich zeit ihres Lebens gefühlt. Unattraktiv, nichtbegehrenswert, bedeutungslos. Und jetzt auf einmal wurde ihr gesagt, sie sei schön, sehr schön. Sie floss dahin, meinte zu schweben.
    »Warte, ich hole die Flasche und die Gläser. Und dann machen wir es uns gemütlich. Setz dich ruhig auf das Bett, es ist ein Traum. Fühl, wie weich es ist.«
    Erika Müller setzte sich – es war tatsächlich ein Traum. Sie ließ sich rücklings auf das Bett fallen, streckte die Arme aus, sagte, während sie noch allein war, leise zu sich selbst: »Ich bin schön, ich bin schön.« Sie hätte schreien können vor Glück, auch wenn das Gefühl der Ungewissheit und der Schuld, ihren Mann zu betrügen, mit kleinen, spitzen Zähnen an ihr nagte.
    »Komm, trink noch einen Schluck.«
    Sie nahm das Glas, trank es aus und stellte es auf den kleinen Tisch neben dem Bett.
    »Und jetzt, meine Liebe, lass uns den Abend genießen.«
    Erika Müller zog sich bis auf die Unterwäsche aus, die sie sich extra für diesen Abend gekauft hatte. Ein schwarzer Spitzen-BH, der ihren üppigen Busen kaum verhüllte, einen dazu passenden, wie für sie gemachten Slip, der die kleinen Speckröllchen an den Hüften und am Bauch praktisch unsichtbar werden ließ. Für einen kurzen Moment fühlte sie sich wie ein junges, unschuldiges Schulmädchen, schüchtern und ein wenig ängstlich vor dem ersten Mal. Es war ein herrliches, ein prickelndes Gefühl.
    »Du bist wirklich sehr schön, schöner, als ich gedacht habe.«
    »Und du, willst du etwa angezogen bleiben?«,
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