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Der indische Fluch

Der indische Fluch

Titel: Der indische Fluch
Autoren: Alfred Bekker
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desorientiert. Mit einer ruckartigen Bewegung stand sie auf und ging davon. Mit schnellen Schritten durchquerte sie den Salon, ohne sich noch einmal dabei umzudrehen.
    Dann riß sie die Tür auf und knallte sie hinter sich zu.

    *
    Einige Augenblicke lang herrschte betretenes Schweigen. Dann sagte Gillian Carter schließlich an mich gewandt: "Denken Sie jetzt nicht zu schlecht von ihr, Miss Chester. Lisa ist krank. Nicht körperlich, sondern seelisch. Sie..." Die Carter brach abrupt ab und deutete dann mit dem Zeigefinger in meine Richtung. "Sie werden von dem, was ich Ihnen sage, nichts schreiben, nicht wahr?"
    "Ich schreibe über Sie, Miss Carter. Und es ist keineswegs meine Absicht, die psychischen Probleme von Angehörigen ans Licht der Öffentlichkeit zu zerren..."
    "Es freut mich, daß Sie so denken, Miss Chester. Sehen Sie, Lisa hatte als Kind ein traumatisches Erlebnis, als unser Haus in Florida abbrannte. Vielleicht hätte ich mich damals mehr um sie kümmern müssen. Ich mache mir heute noch Vorwürfe deswegen..."
    "Ich habe die alten Pressemeldungen im Archiv des Chronicles gelesen", erwiderte ich.
    Die Carter sah mich an. Ihr Blick schien durch mich hindurchzugehen und war ins Nirgendwo gerichtet.
    "Sie haben sich gut auf Ihren Besuch auf Pembroke Manor vorbereitet, scheint mir", sagte sie dann und lächelte ihr Schauspielerlächeln, das ich so oft auf Zelluloid gesehen hatte.
    "Das ist mein Job", sagte ich.
    "Morgen früh werden wir Zeit für ein ausführliches Interview haben. In Ordnung?"
    "Gerne."
    Sie beugte sich vor und legte ihre Hand auf die meine. Sie fühlte sich kalt an.
    Kalt, wie die Hand einer Toten.

    *
    Der jungen Frau fiel das pechschwarze Haar bis auf die braunen Schultern, die durch das blutrote, fließende Gewand freigelassen wurden.
    Lautlos und mit langsamen, gemessenen Schritt trat sie die breite Steintreppe hinab. Ihre Augen leuchteten katzenhaft.
    Haß sprach aus diesen Augen.
    Abgrundtiefer Haß gemischt mit unendlichem Schmerz.

    Stufe um Stufe ging sie hinab. Einer Elfe gleich schritt sie dahin, während sich um sie herum eine seltsame Aura zu bilden schien. Eine Aura, die aus grünlich-weißem Licht bestand.
    Ihr Gesicht veränderte sich leicht.
    Der Ausdruck des Hasses wandelte sich in etwas, das noch bedrohlicher war: den Willen, zu töten!
    Sie hatte den Fuß der Treppe beinahe erreicht, da begann sich hinter ihrem Rücken eine geradezu gespenstische Verwandlung zu vollziehen. Spinnweben bildeten sich und rankten auf groteske Weise die Steinwand hinauf. Dichtes weißes Spinngewebe spannte sich zwischen den Stufen und füllte zahllose kleine Ecken und Winkel aus.
    Schwarze Rußflecken bildeten sich auf dem bis dahin makellosen grauen Steinblöcken.
    Es war, als ob diesen Raum seit vielen, vielen Jahren niemand mehr betreten hätte.
    Feiner, weißer Staub bedeckte die Stufen und eine Mischung aus Moder- und Brandgeruch lag in der Luft.
    Und mit jedem Schritt, den die Frau in Rot hinter sich brachte, breitete sich die unheimliche Verwandlung weiter aus.
    Sie durchschritt den weitläufigen Empfangsraum, ohne dabei auch nur ein einzigs Geräusch zu verursachen, während sich hinter ihr die Aura von Alter und Verfall unaufhaltsam ausbreitete. Der Narzissenstrauß, der in einer wertvollen chinesischen Vase stand, verwelkte innerhalb eines Augenaufschlags, während sie vorüberging.
    Sie lachte boshaft, als sie es sah. Dann ging es den Flur entlang.
    Sie hatte offenbar ein Ziel und jetzt stand sie kurz davor.
    Vor einer bestimmten Tür blieb sie stehen.
    Die Tür öffnete sich wie von Geisterhand. Die Scharniere knarrten und überzogen sich innerhalb eines einzigen Augenblicks mit Rost. Spinnweben spannten sich in einer dicken, weißen Schicht von der Türklinke herab.
    Die Frau in rot stoppte kurz und hielt inne. Ihr Blick war auf das reich verzierte Bett gerichtet, in dem eine ältere Dame friedlich schlief.
    Es war Gillian Carter.
    Die Frau in Rot verzog boshaft das Gesicht. Ihre hübschen Züge wurden durch eine teuflische Grimasse beinahe entstellt. In ihren katzenhaften Augen loderte blanke Mordlust.
    Sie hob ihre zarte Hand, deren Innenfläche kohlrabenschwarz war und trat dann langsam näher...
    "Nein!"
    Ein Schrei voll ohnmächtiger Verzweiflung durchschnitt die unheimliche Stille der Nacht und ich brauchte einen Moment, um zu begreifen, daß ich selbst es war, die geschrien hatte.
    Kerzengerade saß ich im Bett.
    Ich war schweißnaß und das Nachthemd klebte nur so an
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