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Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
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Unsitten in den betreffenden, nach allen Richtungen und auf allen Ebenen streng regulierten, restringierten, polizierten Kleinstöffentlichkeiten wurden von der Aufklärung länger in Ruhe gelassen und freundlicher geschont als je irgendein konkreter Kanzelsatz. Die lumières konnten ihnen immer wieder erliegen, weil die Konkurrenz ihr das wegen eigener, weit gröberer Vergehen auf diesem Feld schwerlich zum Vorwurf machen konnte. Mehr noch: Sie hatten subjektiv wohl keine Wahl, sie mußten die schlechten Gewohnheiten der voraufgeklärten Philosophie mitschleppen, weil sie derselben Konkurrenz sonst zuviel wertvolles Terrain hätten überlassen müssen.
    Der Kampfverlauf erzwang symptomatisch kompromiß- und importförmige Formen der Auseinandersetzung mit voraufgeklärten Denk- und Argumentationsmustern, die man in langer geistesgeschichtlicher Aufarbeitung für naturgegeben zu nehmen gelernt hat, die das aber keineswegs sind. Einige Beispiele:
     
    1. Die Enzyklopädie, zur ersten neuzeitlichen literarischen Kunstform der Wahrheit veredelt von Bayle, Diderot, D’Alembert, ward gemodelt nach dem fatalen Vorbild eines Buchs der Bücher und sollte dieses ausstechen. Noch die besonnensten Texte der enzyklopädischen Gattung kranken an der Suggestion der Abschließbarkeit, die dem wissenschaftlichen Gestus der open inquiry nach Baconschem Rezept im Innersten widerstreben müßte.
     
    2. Die »Gewißheit«, nach der Descartes strebte und die ihre Spuren bis zu Leuten wie David Hilbert und den Wiener Neopositivisten hinterließ, also Leuten, die jedem Obskurantismus und jeder Metaphysik denkbar fernstanden, ist ein reichlich unaufgeklärtes Forschungsziel und wird doch immer wieder für eine notwendige Bedingung jeglicher Exaktheit ausgegeben, mit der sie methodologisch in Wirklichkeit überhaupt nichts zwingend verbindet.
     
    3. Das Kritikmodell der Entlarvung (auf Lehrer-Neudeutsch: »Hinterfragen«), das nicht die immanenten Widersprüche einer zu begreifenden Sache entfalten und damit diskutierbar machen will, sondern um jeden Preis hinter jeder wie auch immer gearteten Sache zwanghaft eine wesenhaft andere, wahre, von der phänomenalen nur verdeckte freilegen muß, ist ein fatales, nur äußerst oberflächlich säkularisiertes Erbstück aus den Archiven des Leib-Seele-Dualismus. Neben anderen Mißlichkeiten, die an ihm kleben, verführt es Köpfe, die unzureichend auf seine Schwächen reflektieren, immer wieder zum borniertesten Patzer zahlreicher vor allem im zwanzigsten Jahrhundert von kritischen Amokläufern praktizierter Spielarten der Ideologiekritik, wonach man bei Aussagen, die einem nicht schmecken, das Recht habe, zunächst einmal zu fragen, was diejenigen, die sie machen, von ihnen haben, und erst später, wenn überhaupt, ob sie eigentlich wahr sind. Wer sich Kritik nur als Entlarvung vorstellen kann, vergißt bald, daß Aussagen manchmal einfach das bedeuten, was sie sagen, und nicht immer etwas anderes, das man mithilfe der analytischen Vokabulare Marxens oder Freuds ans Tageslicht zerren muß.
     
    4. Bacons »Wissen ist Macht« inspirierte ein fatales Bild, das von der Beherrschung der Natur. Es stammt aus dem feudalen Privilegiensystem: Der Leibeigene wird vom Herrn beherrscht, weil jenem der Boden gehört, er herrscht also über beide. Stimmt das? Natürlich nicht. Etwas, das keinen Willen hat, nichts plant und keine Ziele setzt, kann niemand beherrschen, denn Herrschaft bedeutet immer die tendenzielle Negation eines wirklichen oder potentiellen Willens durch einen anderen, in letzter Instanz die Möglichkeit der Brechung von Widerstand dagegen, daß ein willensfähiges Wesen unter die Bestimmungen eines Willens gesetzt wird, der nicht sein eigener ist. Was die wissenschaftlich möglich gemachte Technik, auf die es das falsche Bild von der Naturbeherrschung abgesehen hat, tatsächlich erlaubt, ist nicht die Herrschaft über die Natur, sondern den Verkehr mit ihr in Form von Arbeit statt bloß von Jagen und Sammeln.
     
    5. Der Freiheitsbegriff der Aufklärung ist nicht so aufgeklärt, wie sie glauben macht. Freiheit, subjektiviert zur Willensfreiheit als anthropologischer Prämisse aller im aufgeklärten Denkrahmen möglichen ethischen Kalküle, ist ein der Freiheit zur Sünde, dem zunächst aus dem Humanismus bezeugten, dann für den Protestantismus wesentlichen Begriff von den Optionen der einzelnen unsterblichen Seele nachgebildeter oberster politischer Welt, dessen opake Beschaffenheit das
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