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Der illustrierte Mann

Der illustrierte Mann

Titel: Der illustrierte Mann
Autoren: Ray Bradbury
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Abwechslung würde das auch einmal Spaß machen, meinst du nicht?«
    »Nein, das wäre schrecklich. Ich fand es schon schrecklich, daß du im letzten Monat den Bildermaler wegnahmst.«
    »Das tat ich nur, damit ihr lernen sollt, selbst Bilder zu malen, mein Sohn.«
    »Ich möchte aber nichts anderes als zuhören, zuschauen und riechen; was sollte ich denn sonst tun?«
    »Na schön, geh und spiel in Afrika.«
    »Willst du unser Haus wirklich bald abschließen?«
    »Wir überlegen es uns noch.«
    »Es wäre besser, wenn ihr nicht länger daran dächtet, Vater.«
    »Ich dulde keine Drohungen von meinem Sohn!«
    »Wie du willst.« Und Peter trollte sich ins Kinderzimmer.
    »Komme ich zur rechten Zeit?« fragte David McClean.
    »Frühstück?« entgegnete George Hadley.
    »Danke, hab' schon gefrühstückt. Wo fehlt's denn?«
    »David, du bist doch Psychologe.«
    »Ich hoffe es wenigstens.«
    »Du mußt dir einmal unser Kinderzimmer ansehen. Du hast schon vor einem Jahr einen Blick hineingeworfen, als du uns besuchtest. Ist dir damals etwas Ungewöhnliches aufgefallen?«
    »Das kann ich nicht sagen; die üblichen Gewalttätigkeiten, ein leichter Hang zur Paranoia hier und da, wie es bei Kindern üblich ist, weil sie sich ständig von ihren Eltern verfolgt fühlen, aber sonst eigentlich nichts Beunruhigendes.«
    Sie gingen den Korridor hinunter. »Ich hatte das Kinderzimmer gestern abgeschlossen«, erklärte der Vater, »und die Kinder brachen in der Nacht dort ein. Ich ließ sie gewähren, damit du dir heute ihr Werk ansehen kannst.«
    Ein furchtbares Schreien ertönte aus dem Kinderzimmer.
    »Da sind wir«, sagte George Hadley. »Jetzt sieh zu, was dir daran auffällt.«
    Sie gingen zu den Kindern hinein, ohne anzuklopfen.
    Die Schreie waren verstummt. Die Löwen fraßen.
    »Lauft einen Augenblick hinaus, Kinder«, sagte George Hadley. »Nein, ändert nicht die Mentalkombination. Laßt alles, wie es ist. Hinaus!«
    Als die Kinder gegangen waren, standen die beiden Männer und beobachteten die sich in der Ferne zusammendrängenden Löwen, die sich sichtlich ihre Beute schmecken ließen.
    »Ich möchte zu gern wissen, was sie da fressen«, sagte George Hadley. »Manchmal kann ich es fast erkennen. Glaubst du, wenn ich ein starkes Fernglas holte, könnte ich ...«
    David McClean lachte trocken. »Kaum«, meinte er. Er drehte sich um und studierte eingehend alle vier Wände. »Wie lange geht das nun schon so?«
    »Etwas über einen Monat.«
    »Jedenfalls spüre ich bestimmt nichts Gutes.«
    »Tatsachen möchte ich, keine Gefühle.«
    »Mein lieber George, ein Psychologe hat noch nie in seinem Leben eine Tatsache gesehen. Er erfährt nur von Gefühlen, unbestimmten Empfindungen. Und dies ist kein gutes Gefühl, sage ich dir. Du kannst meinem Instinkt und meinen Ahnungen vertrauen. Das hier ist sehr schlimm. Ich kann dir nur raten, das ganze verdammte Zimmer herausreißen zu lassen und mir deine Kinder das nächste Jahr lang jeden Tag zur Behandlung zu schicken.«
    »Ist es so schlimm?«
    »Ich fürchte, ja. Ursprünglich waren diese Kinderzimmer dazu bestimmt, daß wir die Gedankenmuster des kindlichen Geistes an den Wänden studieren konnten, in Muße studieren und dem Kinde helfen konnten. In diesem Falle ist das Zimmer jedoch zu einem Verstärkerkanal für – zerstörerische Gedanken geworden, anstatt die Kinder davon zu befreien.«
    »Hast du damals noch nichts davon gemerkt?«
    »Ich spürte lediglich, daß ihr eure Kinder mehr als die meisten Eltern verdorben hattet. Und jetzt hast du sie auf irgendeine Weise schwer zurückgesetzt und enttäuscht. Wodurch?«
    »Ich ließ sie nicht nach New York fliegen.«
    »Was noch?«
    »Ich habe ein paar Automaten aus dem Haus entfernt, und vor einem Monat drohte ich ihnen, das Kinderzimmer ganz zu schließen, wenn sie nicht ihre Schularbeiten machten. Für ein paar Tage habe ich es dann auch abgeschlossen, um ihnen zu zeigen, daß ich es ernst meinte.«
    »Aha!«
    »Hat das etwas zu bedeuten?«
    »Alles. Während sie früher einen Weihnachtsmann hatten, haben sie nun einen Scrooge. Kinder ziehen Weihnachtsmänner vor. Du hast dieses Zimmer und dieses Haus deine Stelle und die deiner Frau in der Zuneigung eurer Kinder einnehmen lassen. Dieses Zimmer ist für sie Mutter und Vater, viel wichtiger für ihr Leben als ihre richtigen Eltern. Und nun kommst du daher und willst es abschließen. Kein Wunder, daß hier Haß in der Luft liegt. Man fühlt ihn förmlich aus dem Himmel herabfallen.
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