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Der illustrierte Mann

Der illustrierte Mann

Titel: Der illustrierte Mann
Autoren: Ray Bradbury
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wunderschönes Lied, daß es einen zu Tränen rührte.
    George Hadley blickte in die veränderte Szene. »Geht ins Bett«, sagte er zu den Kindern.
    Sie öffneten ihre Münder.
    »Ihr habt gehört, was ich gesagt habe.«
    Sie traten in die Luftschleuse, wo sie wie braune Blätter den Windfang hinauf zu ihren Schlafzimmern gesogen wurden.
    George Hadley ging durch die gesangerfüllte Waldlichtung und hob etwas auf, das in der Ecke nahe der Stelle lag, wo sich die Löwen aufgehalten hatten. Langsam schritt er zurück zu Lydia.
    »Was hast du da?« fragte sie.
    »Eine alte Brieftasche von mir«, antwortete er.
    Er zeigte sie ihr. Der Duft des heißen Grases, vermischt mit dem scharfen Geruch von Löwen, hing noch daran. Sie war zerbissen, und Speicheltropfen und Blut klebten auf beiden Seiten.
    Er zog die Tür des Kinderzimmers von außen zu und schloß sie fest ab.
     
    Noch um Mitternacht lag er wach und wußte, daß auch seine Frau nicht einschlafen konnte. »Glaubst du, daß Wendy den Wechsel bewirkt hat?« fragte sie schließlich durch die Dunkelheit.
    »Natürlich.«
    »Daß sie die Steppe in einen Wald verwandelt und Rima an Stelle der Löwen gesetzt hat?«
    »Ja.«
    »Warum?«
    »Ich weiß nicht. Aber das Zimmer bleibt abgeschlossen, bis ich es herausgefunden habe.«
    »Wie ist deine Brieftasche dort hingekommen?«
    »Ich weiß überhaupt nichts«, sagte er, »außer daß ich den Kauf dieses Zimmers für die Kinder zu bedauern beginne. Wenn Kinder neurotisch veranlagt sind, kann ein solches Zimmer ...«
    »Es soll ihnen aber doch gerade helfen, ihre Neurosen auf gesunde Art loszuwerden.«
    »Ich fange an, mir darüber Gedanken zu machen.« Er starrte zur Decke hoch.
    »Wir haben den Kindern alles gegeben, was sie sich nur wünschten. Ist das unser Lohn – Geheimnistuerei, Ungehorsam?«
    »Irgend jemand hat einmal gesagt, ›Kinder sind wie Teppiche – man sollte gelegentlich auf sie treten‹. Wir haben nie die Hand gegen sie erhoben. Sie sind unerträglich – wollen wir's doch zugeben. Sie kommen und gehen, wie es ihnen gefällt; sie behandeln uns, als seien wir die Kinder.«
    »Seit du ihnen vor ein paar Monaten verboten hast, mit der Rakete nach New York zu fliegen, benehmen sie sich ganz komisch.«
    »Ich habe ihnen erklärt, daß sie noch zu jung sind, um so eine Reise allein zu machen.«
    »Jedenfalls habe ich festgestellt, daß sie sich seit diesem Zeitpunkt entschieden kühl gegen uns verhalten.«
    »Ich glaube, ich werde David McClean morgen vormittag zu uns bitten, damit er sich dieses Afrika einmal ansieht.«
    »Aber es ist doch nicht mehr Afrika, sondern der Märchenwald und Rima.«
    »Ich habe so ein Gefühl, daß bis dahin wieder Afrika dasein wird.« Einen Augenblick später hörten sie die Schreie.
    Zwei Schreie. Die Schreie von zwei Menschen im Erdgeschoß. Und dann Löwengebrüll.
    »Wendy und Peter sind nicht in ihren Zimmern«, sagte Lydia.
    Er lag mit klopfendem Herzen in seinem Bett. »Nein«, erwiderte er. »Sie sind in das Kinderzimmer eingebrochen.«
    »Diese Schreie – sie kommen mir so bekannt vor.«
    »Wirklich?«
    »Ja, schrecklich bekannt.«
    Und obgleich ihre Betten sich alle Mühe gaben, die beiden Erwachsenen in Schlaf zu schaukeln brauchten sie dazu noch eine gute Stunde. Raubtiergeruch hing in der Nachtluft.
     
    »Vater?« sagte Peter.
    »Ja.«
    Peter blickte auf seine Schuhspitzen. Er sah seinen Eltern überhaupt nicht mehr ins Gesicht. »Du willst doch das Kinderzimmer nicht für immer abschließen, nicht wahr?«
    »Das kommt ganz darauf an.«
    »Worauf?« verlangte Peter ungeduldig zu wissen.
    »Auf dich und deine Schwester. Wenn ihr zwischen eure Afrikabesuche ein wenig Abwechslung legt – sagen wir, Schweden vielleicht, oder Dänemark oder China ...«
    »Ich dachte, wir dürften spielen, was wir wollten.«
    »Das dürft ihr auch, aber innerhalb vernünftiger Grenzen.«
    »Was gefällt dir denn nicht an Afrika, Vater?«
    »Ach, du gibst also jetzt zu, daß ihr Afrika hergezaubert habt?«
    »Ich will nicht, daß du das Kinderzimmer abschließt«, sagte Peter kalt. »Niemals.«
    »Wir denken sogar daran, das ganze Haus für etwa einen Monat abzuschließen und irgendwo auf dem Lande zu leben, wo wir wieder alles selbst machen können.«
    »Das hört sich ja schrecklich an! Muß ich dann meine Schnürsenkel selbst binden, anstatt das den Schuhanzieher machen zu lassen? Und mir selbst die Zähne putzen und die Haare kämmen und mich in der Badewanne abschrubben?«
    »Zur
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