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Der Idiot

Titel: Der Idiot
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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hier geradeaus bis dicht an unser Haus, verstehst du? Aber paß auf, daß wir nicht auseinanderkommen ...!«
    Nach diesen Worten ging er quer über die Straße nach dem gegenüberliegenden Trottoir hinüber, sah sich um, ob der Fürst auch weitergehe, und als er bemerkte, daß dieser stehengeblieben war und mit weitgeöffneten Augen nach ihm hinblickte, machte er ihm mit der Hand ein Zeichen nach der Gorochowaja-Straße zu und ging dann weiter, indem er sich alle Augenblicke nach dem Fürsten hinwandte und ihn zum Nachkommen aufforderte. Er war augenscheinlich beruhigt, als er sah, daß der Fürst ihn verstanden hatte und nicht von dem andern Trottoir zu ihm herüberkam. Dem Fürsten ging der Gedanke durch den Kopf, daß Rogoschin wohl nach jemand Ausschau halten und ihn nicht auf der Straße unbemerkt vorbeipassieren lassen wolle und darum nach dem andern Trottoir hinübergegangen sei. »Aber warum hat er denn nicht gesagt, nach wem er Ausschau hält?« fragte er sich. So gingen sie etwa fünfhundert Schritte, und auf einmal begann der Fürst aus irgendeinem Grund zu zittern; Rogoschin sah sich immer noch um, wiewohl jetzt seltener; der Fürst konnte seine Angst nicht mehr ertragen und winkte ihm mit der Hand. Der kam sofort über die Straße zu ihm herüber.
    »Ist Nastasja Filippowna etwa bei dir?«
    »Ja, sie ist bei mir.«
    »Hast du vorhin hinter dem Rouleau hervor nach mir durchs Fenster gesehen?«
    »Ja.«
    »Warum hast du denn ...«
    Aber der Fürst wußte nicht, was er weiter fragen und wie er seine Frage schließen sollte; auch schlug ihm das Herz so heftig, daß ihm das Sprechen schwer fiel. Rogoschin schwieg ebenfalls und blickte ihn wie früher an, das heißt wie in Gedanken versunken.
    »Nun, dann werde ich wieder weggehen«, sagte er auf einmal, indem er sich anschickte, wieder hinüberzugehen; »und du geh für dich! Wir wollen auf der Straße getrennt gehen ... es ist besser so ... auf verschiedenen Seiten ... du wirst schon sehen.«
    Als sie endlich auf den zwei verschiedenen Trottoirs in die Gorochowaja-Straße einbogen und sich dem Haus Rogoschins näherten, wurden dem Fürsten wieder die Beine so schwach, daß er nur mit großer Mühe gehen konnte. Es war schon gegen zehn Uhr abends. Die Fenster in der Wohnungshälfte der alten Mutter standen wie vorhin offen, in der Rogoschinschen Hälfte waren sie geschlossen, und in der Abenddämmerung waren an ihnen die heruntergelassenen weißen Rouleaus noch auffälliger. Der Fürst näherte sich dem Haus auf dem gegenüberliegenden Trottoir; Rogoschin trat von seinem Trottoir auf die Stufen vor der Haustür und winkte ihm mit der Hand. Der Fürst ging zu ihm hinüber und stieg die Stufen hinan.
    »Daß ich nach Hause zurückgekommen bin, weiß jetzt nicht einmal der Hausknecht. Ich habe ihm vorhin gesagt, ich führe nach Pawlowsk, und bei meiner Mutter habe ich es ebenfalls gesagt«, flüsterte er mit einem schlauen, selbstzufriedenen Lächeln. »Wenn wir hineingehen, wird es niemand hören.«
    Er hatte schon den Schlüssel in der Hand. Während er die Treppe hinaufstieg, drehte er sich um und machte dem Fürsten eine drohende Gebärde, er solle leiser gehen, schloß leise die Tür zu seiner Wohnung auf, ließ den Fürsten hinein, folgte ihm vorsichtig, schloß die Tür hinter sich zu und steckte den Schlüssel in die Tasche.
    »Komm!« sagte er flüsternd.
    Schon von dem Trottoir in der Litejnaja-Straße an hatte er im Flüsterton gesprochen. Trotz all seiner äußeren Ruhe befand er sich in tiefer innerlicher Erregung. Als sie in den vor seinem Arbeitszimmer gelegenen Saal traten, ging er ans Fenster und winkte den Fürsten geheimnisvoll zu sich heran.
    »Als du vorhin bei mir klingeltest, dachte ich mir gleich, daß du es selbst wärst; ich ging auf den Zehen an die Tür und hörte, daß du mit der alten Pafnutjewna sprachst. Aber ich hatte der schon ganz früh am Morgen Befehl gegeben: wenn du oder irgendein Abgesandter von dir oder sonst jemand bei mir klopfen sollte, dann solle sie mich unter allen Umständen verleugnen; und besonders wenn du selbst kämst und nach mir fragtest und ihr deinen Namen angäbest. Aber als du dann weggegangen warst, kam mir der Gedanke: wie, wenn er jetzt dasteht und hersieht oder auf der Straße Wache hält? Ich ging zu eben diesem Fenster hier, schob das Rouleau ein wenig zurück, sah hinaus, und da standest du und sahst mich gerade an ... So ist das hergegangen.«
    »Wo ist aber ... Nastasja Filippowna?« fragte der
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