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Der Hypnotiseur - Kepler, L: Hypnotiseur - Hypnotisören

Titel: Der Hypnotiseur - Kepler, L: Hypnotiseur - Hypnotisören
Autoren: Lars Kepler
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tot.
    Der elfjährige Joona zog mit seiner Mutter Ritva aus der hellen Wohnung im Zentrum von Märsta in die Dreizimmerwohnung seiner Tante im Stockholmer Stadtteil Fredhäll. Nach dem Abitur bewarb er sich an der Polizeihochschule. Noch heute denkt er ziemlich oft an die Freunde in seiner Gruppe, an die Spaziergänge über die großen Rasenflächen, die Ruhe, die der Zeit als Anwärter und den ersten Jahren als Polizeimeister vorausging. Joona Linna hat ein gehöriges Maß an Schreibtischarbeit bewältigt, an Gleichstellungsplänen mitgearbeitet und sich gewerkschaftlich engagiert, er hat beim Stockholmer Marathonlauf und bei Hunderten von Autounfällen den Verkehr umgeleitet, hat sich verlegen gewunden, wenn Fußballhooligans in der U-Bahn seine Kolleginnen mit gellenden Gesängen belästigten: »Was machste mit dem Schlagstock, Bullensau – rein und raus!«, er hat tote Heroinsüchtige mit eiternden Wunden gefunden, ein ernstes Wort mit Ladendieben geredet und Rettungssanitätern bei kotzenden Betrunkenen geholfen, er hat mit Prostituierten gesprochen, die aidskrank und verängstigt unter Entzugserscheinungen leidend zitterten, er ist Hunderten Männern begegnet, die Frau und Kinder nach dem immer gleichen Muster misshandelten, betrunken, aber beherrscht, das Radio auf voller Lautstärke und die Jalousien heruntergelassen, er hat Raser und volltrunkene Autofahrer angehalten, Waffen, Drogen und selbstgebrannten Schnaps beschlagnahmt. Als er wegen eines Hexenschusses krankgeschrieben war und einen Spaziergang machte, um nicht völlig einzurosten, beobachtete er einen Skinhead, der einer Muslimin an die Brust grapschte. Er war dem Skinhead mit schmerzendem Rücken am Ufer entlang hinterhergelaufen, durch den ganzen Park, an Smedsudden vorbei, auf die Västerbron hinauf, über die ganze Brücke und die Insel Långholmen hinweg bis nach Södermalm und hatte den Mann erst an der Högalidsgatan erwischt.
    Ohne es auf eine Karriere angelegt zu haben, ist Joona Linna immer wieder befördert worden. Er stellt sich gerne schwierigen Aufgaben und gibt niemals auf. Er hat eine Krone und zwei Eichen­laubtressen als Zeichen seines Dienstgrades, aber die Goldkordelschleife eines Hauptkommissars fehlt ihm derzeit noch. Leitende Positionen gleich welcher Art interessieren ihn einfach nicht, und er weigert sich, Mitglied der Landesmordkommission zu werden.
    An diesem Dezembermorgen sitzt Joona Linna nun im Büro des Leiters der Landeskriminalpolizei. Trotz der langen Nacht im Vorort Tumba und im Karolinska-Krankenhaus ist er noch nicht müde, als er zuhört, wie Carlos Eliasson mit dem stellvertretenden Chefobduzenten in der Stockholmer Rechtsmedizin, Professor Nils Åhlén, spricht.
    »Nein, ich muss nur wissen, was der erste Tatort gewesen ist«, sagt Carlos und lauscht eine Weile. »Das verstehe ich, das verstehe ich … aber wie ist deine vorläufige Einschätzung?«
    Joona lehnt sich zurück, kratzt sich in seinen blonden zerzausten Haaren und sieht das Gesicht seines Chefs immer roter anlaufen. Carlos lauscht der monotonen Stimme Åhléns, und statt etwas zu erwidern, nickt er nur und legt auf, ohne sich zu verabschieden.
    »Sie … sie …«
    »Sie haben festgestellt, dass der Vater als Erster getötet wurde«, ergänzt Joona.
    Carlos nickt.
    »Habe ich es dir nicht gesagt?«, meint Joona lächelnd.
    Carlos blickt zu Boden und räuspert sich.
    »Okay, du leitest die Ermittlungen«, sagt er. »Der Fall in Tumba gehört dir.«
    »Gleich«, antwortet Joona ernst.
    »Gleich?«
    »Erst will ich etwas hören. Wer hatte Recht? Wer hatte Recht, du oder ich?«
    »Du«, brüllt Carlos. »Um Himmels willen, Joona, was ist nur los mit dir? Du hattest wie immer Recht!«
    Als Joona aufsteht, verbirgt er ein Lächeln hinter vorgehaltener Hand.
    »Jetzt muss ich meinen Zeugen vernehmen, bevor es zu spät ist.«
    »Du willst den Jungen vernehmen?«, fragt Carlos.
    »Ja.«
    »Hast du mit dem Staatsanwalt gesprochen?«
    »Ich werde die Ermittlungen erst abgeben, wenn ich einen Verdächtigen habe«, erklärt Joona.
    »Schon gut, das meine ich doch gar nicht«, sagt Carlos. »Ich glaube nur, dass es gut wäre, die Staatsanwaltschaft mit ins Boot zu holen, wenn du mit einem schwer verletzten Jugendlichen reden willst.«
    »Okay, du bist wie immer sehr vernünftig – ich rufe Jens an«, sagt Joona und geht.

3 .
     
    Dienstagvormittag, der achte Dezember
     
     
     
     
     
    Nach seinem Gespräch mit dem Leiter der
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