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Der Hund des Todes

Der Hund des Todes

Titel: Der Hund des Todes
Autoren: Agatha Christie
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begann sie zu sprechen.
    »Meine gute Pflegerin hier erzählt mir, dass Sie der Bruder der freundlichen Dame von dem großen Haus, in dem ich einquartiert wurde, als ich aus Belgien kam, sind.«
    »Ja«, entgegnete ich.
    »Sie war sehr freundlich zu mir. Sie ist ein guter Mensch.«
    Sie schwieg und schien irgendwelchen Gedanken nachzuhängen.
    Dann fragte sie plötzlich: »Und Monsieur le docteur, ist er auch ein guter Mensch?«
    Ich geriet in leichte Verlegenheit.
    »O ja. Ich meine – ich denke schon.«
    »Aha!« Sie stockte und sagte dann: »Zu mir ist er ohne Zweifel sehr freundlich gewesen.«
    »Davon bin ich überzeugt.«
    Sie warf mir einen durchdringenden Blick zu.
    »Monsieur – wenn Sie jetzt so mit mir sprechen – halten Sie mich für verrückt?«
    »Aber, Schwester, so eine Idee wäre mir niemals…«
    Sie fiel mir kopfschüttelnd ins Wort.
    »Bin ich verrückt? Ich weiß es nicht. Ich erinnere mich an Dinge… ich vergesse Dinge…«
    Sie seufzte, und in diesem Augenblick trat Rose ins Zimmer.
    Er begrüßte sie munter und erklärte ihr, was sie tun sollte.
    »Gewisse Menschen besitzen die Gabe, Dinge in einer Kristallkugel zu sehen, wissen Sie. Und ich habe das Gefühl, dass auch Sie diese Gabe besitzen könnten, Schwester.«
    Sie schien bestürzt.
    »O nein, das kann ich nicht. In die Zukunft blicken zu wollen – das ist Sünde.«
    Rose war betroffen. Das war der Standpunkt der Ordensschwester – den hatte er nicht bedacht. Er wich geschickt aus.
    »Man soll nicht in die Zukunft schauen, da haben Sie vollkommen Recht. Aber in die Vergangenheit zurückzuschauen, das ist etwas anderes.«
    »Die Vergangenheit?«
    »Ja – es gibt viele seltsame Dinge in der Vergangenheit. Bilder, die bruchstückhaft aus der Erinnerung auftauchen – und wieder verlöschen. Versuchen Sie nichts in der Kristallkugel zu erblicken, da Ihnen das nicht gestattet ist. Nehmen Sie sie nur in die Hände – so. Blicken Sie hinein – tief hinein. Ja – tiefer – noch tiefer. Sie erinnern sich, nicht wahr? Sie erinnern sich. Sie hören meine Stimme. Sie können meine Fragen beantworten. Können Sie mich nicht hören?«
    Schwester Marie-Angélique hatte wie geheißen die Kristallkugel ergriffen und hielt sie nun mit eigentümlicher Ehrfurcht zwischen den Händen. Als sie hineinblickte, wurde ihr Blick starr, ihr Kopf sank herab. Sie schien zu schlafen.
    Sanft nahm der Doktor die Kristallkugel aus ihren Händen und legte sie auf den Tisch. Er hob das Augenlid der Frau hoch.
    Dann kam er und setzte sich neben mich.
    »Wir müssen warten, bis sie aufwacht. Es wird nicht lange dauern, denke ich.«
    Er hatte Recht. Nach Ablauf von fünf Minuten regte sich Schwester Marie-Angélique.
    Sie schlug die Augen auf.
    »Wo bin ich?«
    »Sie sind hier – zuhause. Sie haben ein wenig geschlafen. Sie haben geträumt, nicht wahr?«
    Sie nickte. »Ja, ich habe geträumt.«
    »Sie haben von dem Kristall geträumt?«
    »Ja.«
    »Erzählen Sie uns davon.«
    »Sie werden mich für verrückt halten, Monsieur le docteur. Denn sehen Sie, in meinem Traum war der Kristall ein heiliges Zeichen. Ich sah in meinem Traum sogar einen zweiten Christus, einen Lehrer des Kristalls, der für seinen Glauben starb, dessen Anhänger gejagt und verfolgt wurden. Aber der Glaube blieb bestehen.«
    »Der Glaube blieb bestehen?«
    »Ja – fünfzehntausend volle Monde lang – ich meine, fünfzehntausend Jahre.«
    »Wie lang war ein voller Mond?«
    »Dreizehn gewöhnliche Monde. Ja, es war im fünfzehntausendsten vollen Mond – ich war Priesterin vom Fünften Zeichen im Haus des Kristalls. Es war in den ersten Tagen des Sechsten Zeichens…«
    Sie runzelte die Brauen, ein Ausdruck von Furcht überschattete ihr Gesicht.
    »Zu bald…«, murmelte sie. »Zu bald. Ein Fehler… Ah ja, jetzt erinnere ich mich! Das Sechste Zeichen!«
    Sie sprang halb auf die Füße, fiel dann wieder zurück, strich sich mit der Hand über das Gesicht und flüsterte: »Aber was sage ich denn da? Ich rede irre. Dies alles ist ja nie geschehen.«
    »Nun regen Sie sich bitte nicht auf.«
    Doch sie blickte den Arzt aus ängstlichen, verständnislosen Augen an.
    »Monsieur le docteur, ich begreife das nicht. Warum sollte ich solche Träume haben – solche Wahnvorstellungen? Ich war erst sechzehn, als ich in den Orden eintrat. Ich bin nie gereist. Und doch träume ich von Städten, von fremden Völkern, von seltsamen Gebräuchen. Warum?« Sie presste beide Hände gegen den Kopf.
    »Sind Sie
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