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Der Hund des Todes

Der Hund des Todes

Titel: Der Hund des Todes
Autoren: Agatha Christie
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auf den Stufen des Altars und gebot ihnen, keinen Schritt weiter zu tun. Ich bat sie, in Frieden fortzugehen. Sie wollten nicht hören, sie kamen näher, obwohl ich sie warnte. Und da…« Sie beugte sich vor und machte eine merkwürdige Handbewegung. »Und da ließ ich den Hund des Todes auf sie los…«
    Am ganzen Leib zitternd sank sie auf ihre Chaiselongue zurück und schloss die Augen.
    Der Arzt sprang auf, holte ein Glas aus dem Schrank, füllte es halb mit Wasser, fügte ein paar Tropfen aus einem Fläschchen hinzu, das er seiner Rocktasche entnahm, und brachte ihr das Glas.
    »Trinken Sie«, befahl er.
    Sie gehorchte – völlig mechanisch, wie es den Anschein hatte. Ihre Augen starrten in die Ferne, als erblickten sie eine nur ihr sichtbare Vision.
    »Dann ist alles wahr«, murmelte sie. »Alles. Die Stadt der Kreise, das Volk des Kristalls – alles. Es ist alles wahr.«
    »Es scheint so«, sagte Rose.
    Seine Stimme klang leise und beruhigend, offenbar mit dem Zweck, Schwester Marie-Angélique zu ermutigen und ihren Gedankenflug nicht zu stören.
    »Erzählen Sie mir von der Stadt«, sagte er. »Die Stadt der Kreise, so nannten Sie sie wohl?«
    Sie antwortete mechanisch.
    »Ja – es gab drei Kreise. Der erste Kreis war für die Erwählten, der zweite für die Priesterinnen und der äußere Kreis für die Priester.«
    »Und im Mittelpunkt?«
    Sie sog scharf den Atem ein, und in ihre Stimme trat ein Ton ehrfürchtiger Anbetung.
    »Das Haus des Kristalls…«
    Während sie die Wort flüsterte, hob sie die rechte Hand zur Stirn und beschrieb mit dem Finger dort ein Zeichen.
    Ihr Körper schien zu erstarren, ihre Augen schlossen sich. Sie schwankte ein wenig – und dann fuhr sie plötzlich in die Höhe, als schrecke sie aus tiefem Schlaf auf.
    »Was ist?«, stammelte sie verwirrt. »Was habe ich gesagt?«
    »Es ist nichts«, antwortete Rose. »Sie sind müde. Sie brauchen Ruhe. Wir werden jetzt gehen.«
    Sie schien mir ein wenig benommen, als wir uns verabschiedeten.
    »Nun«, sagte Rose, sobald wir draußen waren, »was halten Sie davon?«
    Er warf mir von der Seite her einen scharfen Blick zu.
    »Ich nehme an, ihr Geist ist total verwirrt«, erwiderte ich langsam.
    »Das war Ihr Eindruck?«
    »Nein – eigentlich wirkte sie… nun ja, merkwürdig überzeugend. Als ich ihr zuhörte, hatte ich das Gefühl, dass sie tatsächlich getan hatte, was sie behauptete, nämlich eine Art gigantisches Wunder bewirkt. Sie selbst scheint jedenfalls fest daran zu glauben. Das ist der Grund, warum…«
    »Das ist der Grund, warum Sie meinen, sie müsse den Verstand verloren haben. Ganz recht. Aber betrachten wir die Sache einmal von einer anderen Warte aus. Angenommen, sie hat tatsächlich dieses Wunder bewirkt – angenommen, sie – sie hat tatsächlich ganz allein ein Gebäude und mehrere hundert Menschen vernichtet.«
    »Durch bloße Willenskraft?«, wandte ich lächelnd ein. »Ich würde es nicht ganz so ausdrücken. Sie werden zugeben, dass eine einzige Person eine große Menschenmenge vernichten kann, indem sie beispielsweise auf einen Knopf drückt, der ein Minenfeld zur Explosion bringt.«
    »Ja, aber das ist ein technischer Vorgang.«
    »Stimmt, das ist ein technischer Vorgang, aber dem hegt die Dienstbarmachung und Beherrschung natürlicher Kräfte zu Grunde. Ein Gewitter und ein Kraftwerk sind im Grund ein und dasselbe.«
    »Ja, aber um das Gewitter zu beherrschen, brauchen wir technische Mittel.«
    Rose lächelte. »Ich möchte kurz vom Thema abschweifen. Es gibt eine Substanz namens Wintergrün. In der Natur kommt sie in pflanzlicher Form vor. Sie kann aber auch vom Menschen auf synthetischem und chemischem Weg im Laboratorium hergestellt werden.«
    »Was wollen Sie damit sagen?«
    »Ich möchte damit sagen, dass es oft zwei Möglichkeiten gibt, zum gleichen Ergebnis zu gelangen. Zugegeben, unsere ist synthetisch. Vielleicht gibt es aber noch eine andere. Die außergewöhnlichen Resultate zum Beispiel, die von indischen Fakiren erzielt werden, lassen sich nicht einfach wegdiskutieren. Dinge, die wir übernatürlich zu nennen pflegen, sind keineswegs unbedingt übernatürlich. Einem Wilden würde eine elektrische Taschenlampe als etwas Übernatürliches erscheinen. Das Übernatürliche ist bloß das Natürliche, dessen Gesetze man nicht versteht.«
    »Sie meinen also…«, sagte ich fasziniert.
    »Dass ich die Möglichkeit, ein Mensch könnte unter Umständen in der Lage sein, irgendeine ungeheure
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