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Der Hüter des Schwertes

Der Hüter des Schwertes

Titel: Der Hüter des Schwertes
Autoren: Duncan Lay
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dürftig, doch er wusste, dass es ein Marsch von einer Woche oder länger war. Seine Schuld war stark und frisch, aber das war des Guten zu viel.
    »Ich werde sie ins nächste Dorf bringen und ihr genügend Geld für die Reise dorthin geben«, bot er an.
    »Ich flehe Euch an! Sie muss zu Danir gehen!« Der Riese hielt inne, um Luft zu holen, und seine Verzweiflung verwandelte sich in ein Betteln. »Er wird Euch großzügig belohnen, wenn Ihr kommt! Ihr dürft sie hier nicht sterben lassen! Sie ist die Letzte unserer Familie.«
    Martil wollte ablehnen. Jedermann konnte sich gut vorstellen, dass es der reinste Albtraum werden würde, ein kleines Mädchen in ein mehrere Tagesmärsche entferntes Dorf zu bringen. Geschweige denn ein kleines Mädchen, dessen Brüder und Vater man gerade abgeschlachtet hatte.
    Aber seine Schuld bedrückte ihn sehr. Er wollte nicht noch den Tod eines kleinen Kindes hinzufügen. Das Blut an seinen Händen war einfach buchstäblich noch zu frisch. Außerdem reiste er durch das friedliche Norstalos. Was sollte schon groß passieren? Und sie war erst sechs! Wie viel Ärger konnte ein kleines Mädchen schon machen?
    »In Ordnung«, sagte er schwerfällig.
    »Schwört auf Aroaril!«, keuchte der Riese, dessen Gesicht immer blasser wurde.
    Martil zögerte. Einen Eid an einen Gott zu leisten war nie eine Sache, die leicht von der Hand ging. Man wusste nie, wann die Götter sich dazu entschieden, einen darauf festzunageln.
    »Schwört!«
    Martils Schuldgefühl gewann die Oberhand über seinen gesunden Menschenverstand. Obwohl der junge Räuber im Sterben lag, wollte er ihm zeigen, dass er nicht nur irgendein wahnsinniger Schwertkämpfer war. »Ich schwöre bei Aroaril, dass ich Karia zu ihrem Onkel Danir im Dorfe Thest bringen werde«, sagte er feierlich.
    Der Riese entspannte sich, lehnte sich zurück und rang nach Luft.
    »Nun, es gibt da noch einen letzten Gefallen, um den ich Euch bitten muss«, stöhnte er.
    Martil nickte und schloss die Augen, sodass er das Aufflackern von Triumph auf dem Gesicht des jungen Mannes nicht sehen musste, bevor er sein Schwert wieder in die Scheide zurückkehren ließ. Grimmig wickelte er seine Hände in die blutbefleckte Kleidung und zog die Leichen von Edil und seinen Söhnen von der Straße. Dann wusch er sich noch einmal die Hände und spülte sich auch den Mund erneut aus, bevor er Tomon ein Stück die Straße entlangführte. So musste das Mädchen nicht die Leichen ihres Vaters und ihrer Brüder sehen, wenn er mit ihr zu seinem Pferd zurückkehrte.
    Als er sich dann tatsächlich durch die Bäume nach Westen zum Lager der Räuber in Marsch setzte, um das Mädchen zu holen, wurde er sich der enormen Tragweite seines soeben geleisteten Schwurs bewusst. Warum sollte ein kleines Mädchen mit einem fremden Mann irgendwohin gehen wollen? Was konnte er ihr wegen ihrer Familie erzählen? Wie sollte sie reisen, was sollte sie essen, und wo sollte sie schlafen?
    An diesem Punkt hätte er fast kehrtgemacht, sich auf Tomon geschwungen und aus dem Staub gemacht. Es musste in der Nähe doch ein Dorf geben, wo er den Überfall und das vermisste Mädchen melden konnte! Dann hielt er inne. Wenn das Mädchen nun in den Wald lief und umkam? Was auch immer ihre Familie für Sünden begangen haben mochte, sie hatte ihn weder umbringen noch überfallen wollen. Er konnte sich ja so schon kaum im Spiegel anschauen – könnte er den Tod eines weiteren Kindes mit seinem Gewissen vereinbaren?
    »Und du führst immer mehr Selbstgespräche«, murmelte er.
    »Ja, aber du musst dir erst Sorgen machen, wenn du dir selbst zu antworten beginnst«, entschied er.
    Er zögerte immer noch, aber der Gedanke an das Mädchen, das verlassen auf die Rückkehr seiner Familie wartete – irgendwann würde es sie suchen gehen, Vater und Brüder tot auffinden und im Wald umherirren, wo sie der sichere Tod erwartete –, gab schließlich den Ausschlag. Bevor er es sich wieder anders überlegen konnte, schlug er sich nach Westen durch die Bäume, zählte seine Schritte und versuchte, nicht darüber nachzudenken, was er da tat.
    Er ging langsam und hielt nach dem Unterschlupf der Räuber Ausschau, den er in einer Waldlichtung oder etwas Ähnlichem vermutete. Und er horchte auf irgendwelche Geräusche, die ein kleines Mädchen machte, ohne allerdings genau zu wissen, wie die sich anhören sollten. Er verließ sich einfach darauf, dass sie sich schon von dem abheben würden, was man sonst so im Wald hörte. Das
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