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Der Höllenbote (German Edition)

Der Höllenbote (German Edition)

Titel: Der Höllenbote (German Edition)
Autoren: Edward Lee
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Carlton in Wirklichkeit gar nicht Carlton war, sondern ein identisch aussehender Doppelgänger.
    Das Gleiche hatte Mariel auch von den Nachbarn, ihren Freunden und ihren Eltern gedacht – von allen, die ihr im Leben nahestanden. Ihrer Meinung nach waren sie allesamt Fälschungen. Und denselben Verdacht hegte sie auch gegenüber dem Haus, dem Auto und schließlich dem ganzen Stadtviertel. Alles war im Zuge einer Verschwörung ausgetauscht worden, um sie hinters Licht zu führen. Carlton hatte später im Internet etwas über das Syndrom gelesen. Es galt als selten, aber überaus ernst zu nehmend, ausgelöst entweder durch Gehirnschäden oder Mikrotumore. Mit anderen Worten: unheilbar. Von einem Moment auf den anderen hatte Carlton seine Frau verloren.
    Und seine Tochter Belinda.
    Sieben Jahre lag das jetzt zurück. Belinda hätte in Kürze ihren 19. Geburtstag gefeiert – aber dann korrigierte er sich: Nicht ›hätte‹. Sie ist jetzt fast 19.
    Carlton hatte nie die Hoffnung aufgegeben, dass Belinda noch lebte. Mariels Leiche war aus dem Unfallwagen geborgen worden, aber Belinda hatte man nie gefunden. Man fand in den Trümmern keine Rückstände ihrer Blutgruppe, keinerlei Spuren, die darauf hindeuteten, dass sie verletzt worden war. Sie hatte im Auto Popcorn gegessen, und die Leute von der Spurensicherung fanden Belindas Fingerabdrücke und Rückstände von Maissirup und Zucker auf dem Verschluss des Sicherheitsgurtes und dem Griff der Beifahrertür, also war sie definitiv angeschnallt gewesen.
    Aus unerfindlichen Gründen war Belinda der einzige Mensch, den Mariel in ihrem Wahn nicht für eine Fälschung gehalten hatte. Also hatte sie eines Nachts ihre Tochter in den Familienkombi gesetzt und die Stadt verlassen – um sich selbst und ihre Tochter vor der ›Verschwörung‹ in Sicherheit zu bringen. Sie kam bis Baltimore, wo sie auf der Interstate 95 von einem betrunkenen Autofahrer gerammt wurde. Mariel war durch die Windschutzscheibe geschleudert worden – sie vergaß immer, sich anzuschnallen – und hatte sich beim Aufprall das Genick gebrochen. Sofort tot.
    Aber Belindas Leiche tauchte nicht auf.
    Denk nicht drüber nach, denk nicht drüber nach, denk nicht drüber nach, hämmerte es in Carltons Schädel.
    Aber irgendetwas zwang ihn, darüber nachzugrübeln.
    Auch der betrunkene Fahrer war ums Leben gekommen, daher hatte es keine überlebenden Zeugen gegeben. Die Polizei von Maryland sagte Carlton jedoch, ein Autofahrer, der damals anhielt, um zu helfen, habe gesehen, wie in dem Moment, als er anhielt, ein anderes Fahrzeug vom Seitenstreifen abfuhr. Er glaubte, durch das Heckfenster zwei erwachsene Männer und eine kleinere Gestalt gesehen zu haben. »Kleiner, tiefer sitzend, ein Kind vielleicht«, hatte er gegenüber der Polizei ausgesagt.
    »Ich weiß, dass es für Sie schwer zu akzeptieren ist«, hatte ein FBI-Mann später zu Carlton gesagt, »aber wir gehen davon aus, dass Ihre Tochter in unlauterer Absicht vom Unfallort entführt wurde.«
    Entführt? Unlautere Absicht?
    Nein. Das war nichts, was er jemals im Leben ›akzeptieren‹ konnte.
    Bestimmt war Belinda, traumatisiert von dem Unfall und Zeugin des Todes ihrer Mutter, im Schockzustand aus dem Wagen gekrochen und von einem anderen Autofahrer gefunden worden. Einem normalen, anständigen Menschen, der das Wrack gesehen und das kleine zwölfjährige Mädchen von der Straße aufgegabelt hatte. Nicht in unlauterer Absicht . Anschließend hatte er Belinda zum nächsten Krankenhaus gebracht. Bestimmt würde Carlton bald von der Polizei hören, dass sich Belinda in Sicherheit befand, auf dem Wege der Besserung und in Kürze wieder zu Hause.
    Nach ein paar Wochen wusste ein Teil von Carlton, dass er sich etwas vormachte. Und nach ein paar Monaten stieg in ihm der Verdacht auf, dass er seine Tochter nie wiedersehen würde. Sie war in unlauterer Absicht entführt worden.
    In Gott weiß welcher Absicht.
    Schließlich setzte die Polizei ihn über ihre schlimmsten Befürchtungen in Kenntnis, aber Carlton hörte gar nicht zu. Er konnte nicht in solchen Begriffen von seiner geliebten Tochter denken. Stattdessen klammerte er sich an die bestmögliche Hoffnung: dass ein ansonsten hochanständiges Paar Belinda zu sich genommen hatte, weil es selbst keine Kinder bekommen konnte. »Ich meine ... das ist doch möglich, oder?«, hatte er den FBI-Mann förmlich angefleht. »So etwas könnte doch geschehen sein. Oder?«
    »Natürlich, Sir. So etwas passiert jeden Tag
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