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Der Hirte (German Edition)

Der Hirte (German Edition)

Titel: Der Hirte (German Edition)
Autoren: Richard Dübell
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galoppierten davon.
„Es gibt eine Fähre, eine kurze Strecke flussabwärts von der Stadt“, erklärte er.
„Im Winter wird der Fährmann keinen übersetzen.“
„Mich schon.“
„Weil heute Christi Geburt ist?“
Rainald sah sich in der Erinnerung den Kopf heben und die durchlöcherte Kapuze zurückschieben. Er hob die Stange vorsichtig aus dem Wasser und legte sie auf die Fähre. Aus dem Unterholz kroch der eigentliche Helfer des Fährmanns heraus, ein Tier von einem Mann, und grinste mit lückenhaften Zähnen. ‚Danke’, sagte Rainald. Der Fährmann hielt die Hand auf. ‚War mir’n Vergnügen, Euer Gnaden’, sagte er. ‚Und nicht zu knapp.’
„Genau“, erwiderte Rainald. „Weil heute Christi Geburt ist.“ Er deutete auf das Bündel. „Wir müssen weiter.“
„Selbstverständlich.“ Die Schwester stand auf. Ihr Gesicht war mittlerweile nicht mehr so bleich wie am Anfang, und die Lippen schienen wieder von Blut durchströmt zu werden. „Kann ich dir etwas abnehmen?“
„Ich denke, Ihr wolltet in der Kapelle bleiben?“
„Keinesfalls“, antwortete die Schwester.
„Mit uns könnt Ihr nicht kommen!“
„Weshalb nicht?“
„Ich habe schon reichlich am Hals mit den Kindern.“
„Du wirst uns alle retten“, sagte die Schwester. „Das ist deine Aufgabe, die Gott dir gegeben hat.“
„Gott hat sich schon genug in mein Leben eingemischt, es ist besser für ihn, wenn er sich raushält“, knurrte Rainald, bevor er seine Zunge im Zaum halten konnte.
„Gott hält sich nicht raus“, sagte die Schwester. „Du weißt doch, wie es ist. Du bist doch auch ein Vater.“ Sie zerrte an dem Bündel, ohne es aus dem Schnee heben zu können. „Du meine Güte“, keuchte sie.
„Gebt mir die Sachen, verdammt noch mal!“
„Mit Vergnügen. Ist das da drin alles nötig, um am Ziel anzukommen?“
„Ja“, sagte Rainald störrisch.
„Darf ich mitkommen?“
„Ja, in Dreiteufelsnamen!“
„Danke. Ich bin Schwester Venia.“
Rainald konnte sich nicht dazu durchringen, ihr die Hand zu geben. Er nickte ihr nur knapp zu.
„Ich bin Rainald von Mandach. Das da sind Johannes und Blanka.“ Die Kinder sahen auf, als sie ihre Namen hörten.
„Ich komme mit euch, Kinder. Euer Vater war so freundlich, mich dazu aufzufordern.“
Rainald verdrehte die Augen.
„Herzlich willkommen“, sagte Johannes mit unpassender Förmlichkeit.
„Passt Gott jetzt auf uns auf, weil du dabei bist?“, fragte Blanka.
„Gott passt immer auf alle Menschen auf, besonders auf solche wie dich“, sagte Schwester Venia und lächelte.
Blanka lächelte unsicher zurück. „Warum auf mich?“
„Weil du ein Kind bist. Jedes Kinderlächeln bringt die Harfen im Himmel zum Erklingen, hast du das nicht gewusst? Und Gott liebt diesen Klang.“
„Der Weg führt uns fast bis zur Fähre“, sagte Rainald. „Schluss mit dem Geschwätz. Los geht’s!“
„Gut, dass das genau der Weg ist, auf dem unsere Begleiter uns haben wollen“, sagte Schwester Venia halblaut.
Rainald warf den Kindern einen weiteren Blick zu, aber sie schienen den Worten keine größere Bedeutung beizumessen.
„Sie wollen uns auf dem freien Feld zwischen dem Wald und dem Fluss stellen“, brummte er. „Aber dazu wird es nicht kommen. Bis sie uns erreicht haben, sind wir auf der Fähre. Das ist das einzig Gute an dem Wolfspack – dass es sich zu sehr vor allem fürchtet, was wir Menschen gemacht haben.“
„Und wenn sie noch im Wald über uns herfallen?“
Rainald schulterte das Bündel und stapfte an Schwester Venia vorbei. „Das passiert nicht, wenn Gott auf uns aufpasst. Und dafür seid Ihr ja jetzt dabei, oder nicht?“

***

Die Erinnerung an bessere Zeiten kam immer dann hoch, wenn Rainald ihr am schutzlosesten ausgeliefert war. Er sah sein jüngeres Selbst, wie es seinen Sohn Johannes sanft auf die Wiege zuschob. „Keine Sorge, sie beißt dich nur, wenn du versuchst, ihr die Brust zu geben“, sagte er.
„Herr von Mandach!“, erklang Sophias empörte Stimme vom Bett her.
Rainald fühlte sich fast betrunken vor Freude und Erleichterung. Eine Weile hatte es so ausgesehen, als würde die Geburt schief gehen; dann war Sophias Leben auf Messers Schneide gestanden, weil sie zuviel Blut verloren hatte. Rainalds Frau war immer noch blass und schwach, aber es war gesichert, dass sie überleben würde. Die Wiege schaukelte, und ihr Inhalt gluckste und krähte im Schlaf.
„Schau rein, Sohn“, sagte Rainald leise. „Das ist deine kleine Schwester. Blanka von Mandach, ich
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