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Der Hirte (German Edition)

Der Hirte (German Edition)

Titel: Der Hirte (German Edition)
Autoren: Richard Dübell
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weit war, dass er die Liebe wiedergefunden hatte, die den Jungen fast neun Jahre lang zu einer Sonne in seinem Leben hatte werden lassen, dann kam der Bursche und sagte etwas so ganz und gar Unbrauchbares, so Weibisches, so … Furchtsames! … wie ‚Ich habe was gehört!’ Es fiel Rainald schwer, nicht noch hinzuzufügen: ‚… es sind Wölfe auf unserer Spur, der Tod wetzt seine Sense für uns … hast du das gehört?’ Er tat es nicht – Blankas wegen.
„Nein“, sagte Johannes und blickte zu Boden.
Rainald schnaubte. Sein Zorn zog sich zurück, bereit, jederzeit wieder aufzuflammen.
„Was ist mit Caesar?“, piepste Blanka.
„Wir können ihn nicht mitnehmen, Kleines.“
„Aber wenn er hier liegenbleibt, erfriert er!“
Rainald schaute in die besorgten Augen seiner Tochter. Er musste sich ausgiebig räuspern. „Nein … äh … Caesar ist … weißt du, Kleines, er ist … tot.“
Über Blankas Nasenwurzel entstand eine Falte. „Ist er da, wo Mama ist?“
Rainald schloss die Augen. Warum musst du mich so etwas fragen ?, dachte er. „Ja“, sagte er heiser.
„Dann kann sie ihn füttern!“
„Ja.“
„Und auf ihm reiten.“
Rainalds Stimme war kaum zu hören. „Ja.“
„Reitet sie auf ihm zu uns zurück?“
Rainald starrte die kleine Gestalt an.
„Papa? Ich möchte so gerne, dass Mama wieder zurückkommt.“
Als Rainald schwieg, sagte Johannes: „Sie kann nicht wieder zurückkommen, Blanka. Die Engel lassen sie nicht gehen.“
„Sind die Engel böse?“
„Nein. Sie haben Mama lieb und freuen sich, dass sie bei ihnen ist, deshalb lassen sie sie nicht gehen.“
„Oh!“
Als Rainald dachte, das Schlimmste wäre vorüber, sagte Blanka: „Aber wir haben Mama auch lieb und haben sie gehen lassen. Ich möchte, dass sie wieder zurückkommt!“
Johannes blinzelte ratlos. Er warf seinem Vater einen Seitenblick zu. Rainald holte Atem. Er wollte seine Stimme barsch klingen lassen, doch sie klang nur brüchig und müde: „Niemand kommt von dort zurück, wo Mama hingegangen ist. Wir müssen weiter, Kinder. Los!“
„Was ist mit dem Sattel und dem Zaumzeug?“, fragte Johannes.
Rainald schwang sich das Bündel über die Schulter, zu dem er die tragbaren Teile ihrer Ausrüstung geschnürt hatte. „Willst du die Sachen tragen?“
„Nein.“
Blanka lief zu der mächtigen, stillen Form Caesars hinüber. Der Pferdekörper war bereits von Schnee überzogen. Der Schnee schmolz nicht mehr. Das Blut war ein dunkler Fleck, beinahe wie ein Schatten, den ein unsichtbarer Körper warf. Das kleine Mädchen bückte sich und küsste das Pferd auf die Stirn.
„Mach’s gut, Caesar“, sagte sie und wischte sich eine Träne ab. Rainalds Kehle fühlte sich an, als würde sie jemand zusammenpressen.
„Da ist es wieder“, sagte Johannes. Er versuchte durch den sanft flimmernden Schneevorhang zu spähen.
„Was ist da wieder?“, fragte Blanka.
„Hör auf, die Kleine zu ängstigen!“, schnappte Rainald. „Kommt jetzt!“
„Was ist da wieder, Johannes?“
„Es klingt, als ob jemand weint“, sagte der Junge langsam.
„Verdammt noch mal“, sagte Rainald. Er wandte sich brüsk ab und stapfte durch den Schnee weiter. Die Kinder folgten ihm, Johannes mit dem zweiten Bündel auf dem Rücken, in dem die Habseligkeiten der Kinder waren. Rainald hatte hineingesehen, als er den toten Caesar von seiner Last befreit hatte, mit dem festen Vorsatz, alles neben den Weg zu werfen, was nicht unbedingt lebensnotwendig war. Er hatte gesehen, dass es sich fast ausschließlich um Blankas Sachen handelte – Kleider, billiger Schmuck … Puppen, deren Gewänder aus Flicken von Sophias Kleidern stammten und deren Haare Strähnen von Blankas oder Johannes’ oder Sophias eigenen Haaren waren, die bei Läuseschuren oder bei einer modischen Veränderungen geschnitten worden waren. Sie hatten grau und strähnig ausgesehen wie die Haare von hundert Jahre alten Toten. Er hatte es nicht übers Herz gebracht, sie wegzuwerfen. Johannes trug sie, ohne einen Ton des Protests von sich zu geben.
Der Weg war zugeschneit. Keinerlei Spur, weder eines Tiers noch eines Menschen, bezeichnete seinen Verlauf zwischen den Bäumen. Wenn er erkennbar war, dann nur, indem man sich auf die Schneise zwischen den Stämmen konzentrierte, die seine Anlage geschlagen hatte. Ohne Kenntnis der Umgebung konnte man sich verirren, ohne es zu merken; und wenn man es doch merkte, gäbe es nicht den Hauch einer Chance mehr, zum Weg zurückzufinden.
Rainald kannte die Umgebung.
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