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Der hinkende Rhythmus

Der hinkende Rhythmus

Titel: Der hinkende Rhythmus
Autoren: Gaye Boralıoğlu
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flüsterte Güldane. »Ich hab dich gefragt. Kommst du mit, hab ich dich gefragt.«
    Halil rutschte unruhig auf seinem Stuhl. Jetzt war die Zeit gekommen, die Frage zu stellen, die schon so lange in ihm gärte.
    »Das … war das wirklich?«
    Güldane lächelte. »Natürlich war das wirklich«, sagte sie. »So wahr ich hier liege.«
    Da lächelte auch Halil. Doch schon bald befiel ihn Schwermut. »Ich …«, sagte er »habe es … nie … gewusst. Gibt es dich … gibt es dich nicht …«
    Güldane streckte die Hand aus und legte sie in seine. Halils Handteller wurde zu offenem Feuer; und wie es loderte!
    Sie sah ihn fest an.
    »Und jetzt?«, fragte sie. »Gibt es mich oder gibt es mich nicht?«
    Auch Halil schaute sie unumwunden, voller Mut und Glauben an. Nur, ihr Bild wurde immer verschwommener. Hatte er Tränen in den Augen? Doch seine Stimme kam ohne Zittern, ohne Zwiespalt, ohne Zögern heraus.
    »Es gibt dich!«, sagte er.
    Güldane lächelte traurig. Ein Lächeln zwischen Schmerz und Glück. Und mit diesem Lächeln schloss sie die Augen.

    Die Schokolade, die Yunus brachte, konnte Güldane nie essen. Als Yunus zurückkam, fand er Halil in dem Sessel vor, wo er immer saß, mit einem Gesicht wie eine Mauer, langsam vor und zurück schwankend. Güldanes Gesicht hatte die Farbe der Abwesenheit angenommen.
    Yunus ließ dieses Bild dort stehen, ging mit einem Röcheln in der Brust und einem Gesicht wie von Krallen zerrissen hinaus und verschwand.
    Wie lange Halil so vor Güldane saß, kann man nicht wissen. Irgendwann rührte sie sich ganz leicht. Halil sprang auf und versuchte, ihr Wasser zu geben. Er legte seine Hand auf ihre Stirn, befühlte ihr Fieber. Dann versank Güldane wieder in Schlaf, Halil wartete weiter. Bis in seinem Gedächtnis, jetzt fast vollständig von Dunkelheit beherrscht, eine Kette aufleuchtete … eine Perlenkette. Halil erinnerte sich, dass er Güldane die Perlenkette immer noch nicht gegeben hatte. Er lief zum Schrank und öffnete ihn. Er nahm die Kette heraus. Sehr bedacht, um ihr nicht wehzutun, ganz sachte, sehr sanft, legte er sie um ihren Hals. Er ging einige Schritte zurück und betrachtete sie eine Weile aus der Entfernung. »Steht dir ausgezeichnet«, sagte er. »Nur daran hatte es dir gefehlt, jetzt fehlt dir nichts mehr.«
    Er holte tief Luft. Dann setzte er sich wieder in seinen Sessel.

    Yunus ging mit brennenden Augen und blutendem Herzen nach Hause. Seit jenem Tag war er nicht hier gewesen. Das Haus war eine einzige Ruine. Während Yunus auf diesem Schlachtfeld verloren umherlief, entdeckte er auf dem Boden ein Büschel rotes Haar; ein Stück Güldane.

    Cevdet, der wie immer in der Mitte des Viertels stand, glaubte im ersten Moment, seine Tochter würde gerade aus dem Haus treten. Das war ihr Kleid. Das Kleid mit Volantrock und bordeauxrotem Blumenmuster auf grünem Untergrund. Doch bald merkte er, dass nicht Güldane darin steckte, sondern Yunus. Unter seinem Arm, wie immer, sein Tamburin. Ohne noch einmal zurückzuschauen, lief er hinaus aus dem Viertel. Cevdet schloss die Augen.

    Beyoğlu war dicht bevölkert, wie immer. Am Anfang der Straße erschien ein Junge in seinem grünen Kleid mit den bordeauxroten Blumen und seiner zerschlissenen Hose, die sich darunter verbarg. Er aber sah niemanden. Er lief ohne Eile, mit sicherem Schritt. Bis zur Mitte der Straße. Dort blieb er stehen. Mit seinen dunklen Händen, die Fingernägel voller Schmutz, gab er seinem Tamburin einen Hieb.
    Tack!
    Dann noch einen … track!
    Und nochmal … tack! tack!
    Track! tack!
    Bei jedem Schlag wandte sich ein Kopf zu ihm hin …
    Bei jedem Schlag sprang ein Herz …
    Yunus stimmte einen hinkenden Rhythmus an …
    Und begann, einen noch nie gesehenen, sonderbaren Tanz aufzuführen.
    Tack …
    Tack …
    Trraackk …
    2009 / Galata, Istanbul

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