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Der hinkende Rhythmus

Der hinkende Rhythmus

Titel: Der hinkende Rhythmus
Autoren: Gaye Boralıoğlu
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kommen. Wenn die Liebe in seinem Herzen keine Selbsttäuschung war, würde sie auf jeden Fall kommen.

    Güldane machte jetzt zwar öfter Vorführungen, um so schnell wie möglich das nötige Geld zusammenzutragen, aber gleichzeitig hatte sich eine Unruhe in ihr festgesetzt, die immer weiter wuchs. Die Funken in den Augen, die vor dem Fenster ihre Vorführung verfolgten, waren nicht die gleichen wie früher. Damals lag natürlich auch Lust in diesen Blicken, aber auch Neugier, Aufregung und manchmal sogar Scham. Aber jetzt … schien sich Lust in Lüsternheit verwandelt zu haben, Neugier in Ungeduld, Aufregung in Gewalt, Scham in Unverschämtheit.
    Güldane fühlte sich nicht mehr so gelassen und mochte nicht, was sie tat. Sie spürte, dass es viel besser wäre, möglichst bald von hier zu verschwinden. Die Anspannung hatte auch ihre Fähigkeiten abgestumpft. Sie tanzte nicht mehr so flink, entledigte sich nur einiger Kleidungsstücke und blies die Kerze aus, ohne sich ganz ausgezogen zu haben. Dann kauerte sie in einer Ecke und wartete, bis die Leute sich wieder entfernten; die unbefriedigte Männerhorde knurrte und maulte ein wenig, ehe sie sich unwillig auflöste.
    Sie hatte mit Yunus nie darüber gesprochen, aber ihm entging ebensowenig, dass die Situation unappetitlich geworden war. Die Gespräche zwischen den Zuschauern, die Spannung, die in der Luft hing, wenn sie schwiegen, ihre Stimmung, wenn sie auseinandergingen, ließen ihn spüren, dass irgendetwas nicht in Ordnung war. Früher hatte er während der ganzen Vorführung unter dem Fenster gewartet. Jetzt aber lief er gleich nach dem Beginn der Show ins Haus, schloss die Tür sorgfältig ab und wartete bis zum Ende, wobei er nicht einmal zu atmen wagte. Erst, wenn das Fenster wieder dunkel war und die Männer sich entfernten, konnte er sich entspannen. Immer wieder sagte er sich selbst, er würde sich nur etwas einbilden, setzte ein Lächeln von der wahrhaftigsten Sorte auf, damit Güldane seine Unruhe nicht mitbekam, schlug ihren Lieblingsrhythmus an, breitete den Tagesumsatz auf dem Tisch aus und fing an, das Geld zu zählen … sechzig, oh oh … siebzig, oh oh …
    Anfangs beteiligte sich auch Güldane an diesem Spaß, und wenn er hundeeert sagte, sprangen sie beide auf und legten tack tack ta tack tack! einen Bauchtanz hin. Doch in letzter Zeit zeigte Güldane kein Interesse mehr daran. Sie schaute nur mit einem bitteren Lächeln ihrem Bruder zu. Dann ging sie weg und legte sich hin. Und Yunus legte sich ihr gegenüber in sein Bett und sah ihr zu, wie sie einschlief. Kurz danach war auch er eingeschlafen.
    Der Frühling hatte in Istanbul nur kurz gewährt und eine Hitze, die nach Staub, Metall und Asphalt roch, hatte sich auf die Stadt gesenkt. Halil ließ nichts von sich hören. Güldane begann allmählich zu denken, er würde nicht mehr kommen. Das traf sie zwar, aber sie hatte auch nicht vor, ihre Pläne aufzugeben. Sie wollte Yunus mitnehmen und diesen Ort verlassen. Bald. Sie musste.
    An jenem Tag fühlte sie sich seltsam, als sie aufwachte. Ein Brennen im Rachen, Schmerzen im Kopf. Zu allem Überfluss gab es am Abend auch noch eine Show. Den ganzen Tag über kochten Lindenblüten auf dem Herd. Yunus mischte Honig hinein und gab ihr einen Lindenblütentee nach dem anderen. Er maß ihr Fieber. Sie hatte keins. Aber ihre Glieder schmerzten, als hätte sie drei Tage Schwerstarbeit geleistet.
    Der Abend kam, warum auch immer, früher als sonst. Es war warm, aber Güldane fror. Alles zitterte in ihr. Aus der Ferne hörte sie die Tamburinschläge, mit denen Yunus die Kunden zusammenrief. Sie stellte sich vor den Spiegel und begann, sich für ihre Darbietung vorzubereiten.
    Gegen zwölf, während sie die Atemzüge der draußen Versammelten spürte, wurde die Tür aufgestoßen, Yunus kam herein. »Lass sie nicht zu lange warten«, sagte er mit flehendem Blick. Dann verschwand er wieder.
    Güldane ging wie immer ins Bad. Zündete die Kerze an. Öffnete den Vorhang. Augen, in der Dunkelheit versammelt, bewegten sich neugierig.
    Sie hatte eine dicke Strickjacke und einen langen Rock an. Ihre Haare waren ganz unaufwendig zusammengebunden. Auf ihrem ungeschminkten Gesicht lag ein seelenloser, unglücklicher Ausdruck. Sie schaltete den Kassettenrekorder an. Draußen hörte man eine magere arabische Musik. Große und kleine Männer rissen gespannt die Augen auf.
    Güldane trug mehrere Schichten. Ihr war kalt.
    Zuerst zog sie ihre Strickjacke aus. Die Männer
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