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Der Himmel über Garmisch (German Edition)

Der Himmel über Garmisch (German Edition)

Titel: Der Himmel über Garmisch (German Edition)
Autoren: Martin Schüller
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zweifelnd, liebevoll. Ihre schweigende Gegenwart erfüllte den Raum mit einer sanften Wärme. Er lächelte.
    Sein Handy läutete. Es war Carlo. Sein Boss.
    »Ich muss mit dir reden«, sagte Carlo.
    »Ich komme runter«, antwortete Hardy.
    »Nein. Ich komm rauf.«
    Hardy sah sich um. Marie war verschwunden. Er erhob sich, ging hinüber zu dem kleinen Tisch. Besuch von Carlo war ungewöhnlich. Er befreite den zweiten Stuhl von einem Stapel Zeitschriften, den er einfach unters Bett schob. Über dem kleinen Waschbecken neben der Tür hing ein Spiegel. Nach einem prüfenden Blick fuhr er sich mit beiden Händen durch die Haare. Kurz überlegte er, eine Krawatte anzulegen, aber er ließ es bleiben.
    Sekunden später klopfte es kurz, und Hanns-Karl Unterwexler kam herein. Niemand nannte ihn Hanns-Karl. Er war Carlo. Unter dem Namen hatte er gekämpft. Im Ring. Und auf der Straße. Aber das war lange her. Seit vielen Jahren schon ließ er andere kämpfen. Im Ring. Und auf der Straße.
    »Unten ist im Moment zu viel Betrieb«, sagte Carlo. »Ula kommt alle zwei Minuten rein und will irgendwas wegen dem Fest wissen.«
    Mit einer Geste bot Hardy ihm den Stuhl an, aber Carlo blieb stehen.
    Der Name Carlo passte eigentlich nicht mehr zu ihm. Er war Mitte sechzig und achtete auf eine seriöse Garderobe. Seine Figur war immer noch stattlich, aber an einigen entscheidenden Stellen schon recht gerundet. Doch auch, wenn man ihm den Boxer nicht mehr ansah, wäre niemand auf die Idee gekommen, ihn mit seinem echten Vornamen anzureden.
    Carlo zog seine Zigarillos aus der Tasche seiner Hausjacke und zündete sich einen an. Hardy setzte sich an den Tisch, griff nach seinen Zigaretten und tat es ihm gleich. Schweigend nahmen sie ein paar Züge.
    Hardy war seit dreiundzwanzig Jahren bei Unterwexler. Zwar hatte es in der Zeit zwei längere Unterbrechungen gegeben, aber so etwas brachte der Job mit sich. Hardy hatte sich immer auf Carlo verlassen können. Carlo hatte immer getan, was möglich war, und hatte ihn nie daran zweifeln lassen, dass er wieder einsteigen konnte. Dass er versorgt sein würde, wenn er rauskam.
    Carlo sah sich im Zimmer um, auf seiner Stirn erschien eine steile Falte. »Was ist denn das für eine Bude? Gab’s nichts Besseres für dich? Hier gibt’s ja nicht mal ein Klo.«
    »Passt schon«, sagte Hardy. »Klo und Dusche sind gegenüber. Wenn’s wichtig wäre, hätte ich schon für was anderes gesorgt, verlass dich drauf. Du kennst mich doch. Mir ist so was egal.«
    »Wenn du das sagst …«
    Manche meinten, Carlo sei altmodisch, und vielleicht hatten sie recht. Aber Hardy war es noch nie altmodisch vorgekommen, wenn jemand sein Wort hielt und sich um seine Leute kümmerte. Vielleicht war er selber altmodisch.
    Es war sein erster Job gewesen, nachdem er aus Südafrika zurückgekommen war. Wahrscheinlich würde es auch sein letzter sein. Niemand war länger dabei als er. Er war Carlos rechte Hand, ein Vertrauter. Nicht immer der wichtigste Ratgeber, jedenfalls nicht, wenn es ums Geschäft ging, aber er war immer in Carlos Nähe.
    Vielleicht war er sogar ein Freund, mittlerweile – wenn ein Mann wie Carlo überhaupt so etwas wie Freunde hatte. Für Hardy war das genug. Mehr, als er für sein Leben erwartet hatte. Das Vertrauen eines großen Mannes. Für ihn war das Luxus.
    Er wusste Dinge, die andere nicht wussten. Die niemand wusste. Wegen der es Tote geben würde, wenn die Falschen sie erfuhren.
    Trotzdem hatte Carlo ihn noch nie in seinem Zimmer besucht. Sie rauchten schweigend.
    »Gunther hat Ärger«, sagte Carlo endlich.
    »Mit wem?«
    »Weiß er nicht. In den letzten Tagen sind zwei unserer Türsteher schwer zusammengeschlagen worden. Im Ultra und im Hexenhaus. Von Unbekannten.«
    »Welche beiden?«, fragte Hardy.
    »Benni und Ilja. Benni wird auf einem Auge blind bleiben. Ob sie Iljas Knie wieder hinkriegen, wissen sie noch nicht.«
    »Mist. Das sind gute Leute. Ilja vor allem.«
    »Ja.«
    »Was machen die Bullen?«
    »Sind sauer. Schlechte Presse. Aber falls die den wilden Mann spielen wollen, erfahr ich’s rechtzeitig.«
    »Haben wir genug Leute in Nürnberg?«
    »Gunther meint, es reicht.«
    »Ich könnte hinfahren.«
    Carlo ging zum Dachfenster, öffnete es und sah hinaus. Die untergehende Sonne beschien sein Gesicht. »Der Junge muss auch mal allein klarkommen, wenn es ein bisschen brennt.«
    »Könnte mehr als ein bisschen werden«, sagte Hardy.
    »Abwarten.« Carlo blies Rauch aus dem Fenster.
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