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Der Hexer - NR45 - Der abtrünnige Engel

Der Hexer - NR45 - Der abtrünnige Engel

Titel: Der Hexer - NR45 - Der abtrünnige Engel
Autoren: Verschiedene
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aufzuspringen und aus dem Zimmer zu rennen, aber ohne die Herkunft dieses Wissens zu ahnen, wußte sie plötzlich, daß sie nicht einmal die Tür erreichen würde.
    »Was meinen Sie mit nächtlichen Spaziergängen?« fragte Priscylla noch einmal. Ihr Stimme klang nun eindeutig lauernd.
    »Nun, ich – ich sah letzte Nacht, wie Dr. Jackson mit Ihnen über den Flur ging.« Wohlweislich verschwieg die Krankenschwester, daß sie auch gesehen hatte, daß das Ziel der beiden Menschen die Gewölbe unter dem Sanatorium gewesen waren. Ihr war ein Gedanke gekommen, wie sie sich herausreden konnte. »Es ist ja ungesund, wenn man so lange nur im Bett liegt«, fuhr sie hastig fort und zwang sich zu einem gekünstelten Lächeln. »Da er Kontakte mit den anderen Patienten verhindern will, dachte ich mir, daß er extra nachts mit Ihnen spazierengeht, wenn die anderen schlafen. Er ist wirklich ein ungewöhnlich engagierter Arzt, daß er sogar seine Nachtruhe für Sie opfert.«
    Erleichtert atmete Elisabeth auf, als sie sah, wie sich das Gesicht des Mädchens wieder entspannte und sogar ein zaghaftes Lächeln zeigte. Anscheinend hatte sie genau das Richtige gesagt. Dennoch wollte sie nur noch so schnell wie möglich aus dem Zimmer heraus, weg von diesem unheimlichen Mädchen.
    »Ich muß jetzt wieder zurück, bevor man mich vermißt«, sagte sie und stand abrupt auf.
    »Vielen Dank noch einmal, daß Sie gekommen sind«, verabschiedete sich Priscylla. »Ach, einen Gefallen könnten Sie mir bitte noch tun.«
    Auf halbem Weg zur Tür verharrte Elisabeth Denworthy und drehte sich widerwillig herum.
    »Um was handelt es sich denn?«
    »Da wir Weihnachten haben, würde ich mich gerne ein wenig schönmachen. Könnten Sie mir bitte den Spiegel und die Haarbürste geben? Beides liegt auf der Kommode neben Ihnen.«
    »Aber sicher.«
    Kalter Schweiß perlte auf Elisabeths Stirn, als sie nach den Utensilien griff. Jeder Schritt in Richtung des Bettes bereitete ihr Mühe.
    »Halten Sie mir den Spiegel doch bitte einen Augenblick, bis ich mich gekämmt habe«, bat Priscylla. Es klang mehr wie ein Befehl als wie eine Bitte.
    Elisabeth kam nicht dagegen an. Widerwillig hielt sie dem Mädchen den Handspiegel hin. Priscylla griff nach ihrer Hand und drehte sie so, daß die Krankenschwester das Gesicht des Mädchens in der Glasfläche sehen konnte.
    Im gleichen Moment schrie diese gellend auf.
    Priscyllas makelloses Gesicht zeigte sich im Spiegel als die von Warzen und kraterartigen Pusteln übersäte Fratze einer uralten, faltigen Greisin mit verfaulten Zähnen, die hinter vertrockneten, eingefallenen Lippen sichtbar wurden. Elisabeth Denworthy schrie, bis Priscylla den Schrei mit ihrer Hand erstickte und sie mit einem einzigen Schlag tötete.

    * * *

    »Sie sind ein Engel«, lobte Howard, als Mary Winden in den Salon trat, wo er mit Rowlf saß. In den Händen hielt sie ein Silbertablett, auf dem eine Kanne mit dampfendem Kaffee stand.
    »Vorsicht, so viel Freundlichkeit könnte bei Ihnen zur schlechten Angewohnheit werden«, erwiderte sie bissig. Ihre Stimme klang müde; nicht die Art von Müdigkeit, die auf zuwenig Schlaf hindeutete, sondern eine Erschöpfung seelischer Natur. Sie stellte das Tablett ab, und Howard sah, daß ihre Hände zitterten. Sie befand sich ebenso in Sorge um Robert wie er selbst, und das schon seit Wochen und Monaten. Diese Zeit hatte bei ihr Spuren hinterlassen, die über die tiefer gewordenen Falten in ihrem Gesicht hinausgingen. Sie war wortkarg geworden und kapselte sich in ihrer Trauer immer mehr von ihrer Umwelt ab.
    In den letzten Tagen war es besonders schlimm gewesen, sie hatte wohl nicht mehr zu hoffen gewagt, Robert nach so langer Zeit noch einmal lebend wiederzusehen. Sills Bericht hatte ihr immerhin ein wenig Hoffnung zurückgegeben. Auch wenn die Bemerkung nicht gerade freundlich war, erleichterte es Howard doch, daß sie überhaupt wieder so etwas wie einen Scherz über die Lippen brachte.
    »Wie geht es dem Mädchen?« erkundigte er sich.
    »Sill?«
    »Natürlich, oder gibt es etwa noch mehr Mädchen im Haus?« fauchte Howard sie an. Obwohl er fast den ganzen Tag durchgeschlafen hatte und erst vor kaum einer halben Stunde aufgewacht war, fühlte er sich immer noch erschöpft und ausgelaugt. Bevor er die erste Tasse Kaffee zum Frühstück getrunken hatte, war er prinzipiell nicht ansprechbar, daran änderte sich auch nichts, wenn dieses »Frühstück« um acht Uhr abends stattfand. Dazu kam seine Gereiztheit,
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