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Der Hexer - NR45 - Der abtrünnige Engel

Der Hexer - NR45 - Der abtrünnige Engel

Titel: Der Hexer - NR45 - Der abtrünnige Engel
Autoren: Verschiedene
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Hauses in London.

    * * *

    »Der Garten der Beratung«, sprach die Stimme, und aus den grauen Nebelschwaden schälten sich erste Konturen: schlanke, hohe Bäume, die sich in leichter Brise wiegten, und saftiges, grünes Gras unter einem sternenklaren nächtlichen Himmel.
    »Der Brunnen der Wahrheit«, fuhr die Stimme fort, und wieder wallte Nebel auf, zog sich zusammen und verlieh einem kleinen Pavillon Gestalt, zwischen dessen Säulen ein leise murmelndes Rinnsal sich über goldene Kaskaden in ein kreisrundes Becken ergoß.
    »Es ist alles bereit«, sagte die Stimme. »So nehmt Gestalt an, Schwestern.«
    Und die gleißenden Kugeln sanken hernieder auf das Gras und wuchsen wieder empor zu schlanken Körpern wie aus Alabaster, gehüllt in seidene Gewänder aus Licht und Schatten. Allein der Geist in ihrer Mitte wählte eine andere Gestalt, denn über ihn sollte der Schuldspruch gefällt werden im Garten der Beratung. Und doch – in seiner Haltung war nichts, was Schuld erkennen ließ. Aufrecht und stolz stand die junge, dunkelhaarige Frau inmitten ihrer Schwestern, die Hände trotzig, ja provozierend fast in die Hüften gestemmt, den Kopf hoch erhoben.
    Doch sie wußte nur zu gut, daß sie die anderen nicht täuschen konnte. Sie alle wußten, wie es in ihrer Seele aussah, daß sie nur mit Mühe die Fassade der Gleichgültigkeit bewahren konnte.
    Sie war tot, gestorben unter der grausamen Hand eines sadistischen Magiers, und wenn eine El-o-hym auch nicht wirklich sterben konnte, so hatte sie doch ihren Körper verloren; neben der Seele das höchste und heiligste Gut, das ihr von IHM gegeben war.
    In ihren Augen flackerte Furcht, als sie die Blicke der Schwestern erwiderte. Doch auch sie mußte sich an das Zeremoniell halten, wollte sie nicht die letzten Sympathien leichtfertig verspielen, die ihr verblieben waren. Ihre Stimme zitterte unmerklich, als sie die Frage stellte.
    »Wer ist als Vorsprecherin bestimmt, um mich zu richten?«
    Eine der bleichen Schwestern trat vor und senkte ihr Haupt vor den anderen. »Ich bin bestimmt nach SEINEM Willen. So vereint eure Geister und seht.«
    Mit diesen Worten öffnete sich der Kreis und wandte sich dem Brunnen zu. Die Vorsprecherin neigte sich über die Schale kristallklaren Wassers und legte die sechs Finger ihrer rechten Hand darauf.
    Das goldene Becken begann zu glühen. Feurige Funken tanzten über das Wasser. Und mit ihnen kamen die Bilder...
    Eine finstere Burg inmitten einer hitzeflirrenden Wüste, von steinernen Drachen bewacht. Ein Verließ, tief unten, in den Gewölben der Festung. Eine Gestalt am Boden – helles, zartes Fleisch in blutbefleckten Ketten; zerbrochene Flügel, ihrer Federpracht beraubt; ein im Todeskampf verzerrtes Gesicht unter goldenem Haar.
    »Dein Tod, Uriel«, klang die Stimme der Vorsprecherin auf. »Der Brunnen der Wahrheit kann nicht irren. Du bist nun wahrlich zu dem geworden, was du unter den Menschen warst – ein Schatten. Und Shadow soll von nun an auch unter deinesgleichen dein Name sein, bis du geläutert bist vom Herrn.«
    »Nein!« Shadow war vorgetreten und fuhr mit ihrer menschlichen Hand über das Wasser. Das Bild verschwamm. »Nur mein himmlischer Körper ist gestorben. Ich selbst lebe. Und ich habe meine Mission noch nicht erfüllt!«
    Ein erschrockenes Raunen ging durch den Kreis. Die Wirkung ihrer Worte war so groß, daß viele der Schwestern das Gebot vergaßen, sich nur auf gedanklicher Ebene mit den anderen Ratsmitgliedern zu verständigen. Geflüsterte Worte von Ungehorsam und Blasphemie schwangen wie unheilvolle Schatten durch die Nacht. Die Vorsprecherin hob rasch beide Hände und brachte den Kreis augenblicklich zum Verstummen. Lange Zeit stand sie reglos da, sichtlich um Fassung bemüht, bevor sie sich wieder an die menschliche Frau in ihrer Mitte wandte.
    »Du weißt, daß du dich fügen mußt«, sagte sie fast flehend. »Die Gesetze –«
    »Die Gesetze irren«, unterbrach Shadow sie. Wieder klang entsetztes Gemurmel auf, und zwei der Schwestern mußten sich auf ihre Gefährtinnen stützen, einer Ohnmacht nahe. »Kann es Blasphemie sein, das Böse von der Pforte des Paradieses abzuwenden?« fuhr Shadow rasch fort, noch ehe die Vorsprecherin sich wieder gefangen hatte. »Ich sage euch, Schwestern: Die Dunkle Macht steht dicht vor ihrem Sieg, wenn wir ihr nicht Einhalt gebieten! Ahnt ihr denn nicht die Macht der SIEBEN SIEGEL? Wißt ihr nicht, daß die GROSSEN ALTEN ihren Kerker verlassen werden, wenn sich die Siegel
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