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Der Hexer - NR15 - Wo die Nacht regiert

Der Hexer - NR15 - Wo die Nacht regiert

Titel: Der Hexer - NR15 - Wo die Nacht regiert
Autoren: Verschiedene
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Rückweg nach Firth’en Lachlayn. Und zu Severals Haus.
    Der Ort hatte sich abermals verändert, als ich den Hügel überwand und die kleine Ansammlung niedriger Häuser unter mir liegen sah. Hinter den meisten Fenstern brannte jetzt Licht, und auf dem rechteckigen Platz im Zentrum der Stadt flackerte ein gewaltiges Feuer, dessen Schein die hereinbrechende Dämmerung über der Stadt mit Blut durchwob.
    Ich näherte mich der Stadt sehr vorsichtig, denn ich konnte nicht darauf hoffen, einfach hineinspazieren zu können, ohne daß mich jemand erkannte. Firth’en Lachlayn war ein Ort von gut hundert Seelen: groß genug, um als Fliegendreck auf einer Landkarte auftauchen zu können, aber klein genug, daß jeder den anderen kannte.
    Mein Gepäck hatte ich unweit des Ortsrandes in einem Gebüsch versteckt und trug jetzt nur noch meinen Stockdegen bei mir. Diesmal hatte ich alles von Nemos Ausrüstung mitgenommen, was ich tragen konnte – darunter auch vier Reservepatronen für das Oxygengerät. Der Gedanke, noch einmal in diesen verfluchten See hinabsteigen zu sollen, ließ mich schier zu Eis erstarren, aber ich hatte das sichere Gefühl, es zu müssen. Nemo war kein Mann, der mich einfach vergessen würde. Wenn er nicht kam, dann konnte er nicht kommen.
    Flüchtig dachte ich an das letzte Bild, das ich von der NAUTILUS in Erinnerung hatte: ein Tod und Vernichtung speiendes Ungeheuer, das wie ein Rachegott über der unterseeischen Stadt erschienen war. Der Gedanke, daß diesem Ungeheuer aus Stahl und geballter Kraft irgend etwas zugestoßen sein sollte, erschien mir schlichtweg absurd.
    Aber schließlich war Dagon ein Gott.
    Ich verscheuchte den Gedanken, richtete mich hinter meiner Deckung auf und ging, schnell, aber nicht so hastig, daß ich bei einem eventuellen Beobachter Mißtrauen erwecken konnte, weiter. Die ersten Häuser tauchten rechts und links der Straße auf, und in das entfernte Murmeln der Brandung mischte sich ein anderes, dunkleres Raunen, wie das Murren einer großen Menschenmenge. Ich dachte an das Feuer, das ich von der Höhe aus beobachtet hatte, und schauderte.
    Langsam näherte ich mich dem Zentrum des Dorfes. Das Stimmengemurmel nahm zu, und nach einer Weile gewahrte ich den blutigroten Widerschein des Feuers wie flackernde dünne Linien, die die Kanten und Dächer der Häuser nachzeichneten.
    Abermals blieb ich stehen. Several Bordens Haus lag auf der anderen Seite des Marktplatzes, aber es war der einzige Ort, an den ich gehen konnte; wenigstens im Moment. Ich war mir bis zu dem Augenblick, in dem ich mir eingestanden hatte, daß das Boot nicht mehr kommen würde, nicht einmal der Tatsache bewußt gewesen, daß diese halb verrückte Frau in weitem Umkreis der einzige Mensch war, von dem ich Hilfe erwarten konnte. Ich hatte nicht einmal das Geld für eine Bahnkarte, um nach Aberdeen zurückzukehren. Geschweige denn nach London. Und unabhängig davon konnte ich unmöglich hier weg, ehe ich nicht wußte, was mit Bannermann geschehen war. Oder mit der NAUTILUS.
    Mißtrauisch sah ich mich um, aber ich war noch immer allein. Die Straße lag leer und dunkel vor mir, und selbst in den Häusern, in denen Licht brannte, rührte sich niemand. Offenbar war die gesamte Bevölkerung des Ortes auf dem Marktplatz zusammengekommen, um – ja, was eigentlich? – zu tun? Ich ging weiter, wechselte auf die andere Straßenseite, denn die Schatten waren dort ein wenig tiefer, und näherte mich dem Marktplatz.
    Ich war auf vieles vorbereitet gewesen, aber das, was ich schließlich sah, ließ mich trotzdem abrupt innehalten. Die gesamte Einwohnerschaft von Firth’en Lachlayn war auf dem Platz zusammengeströmt. Ich sah an die zweihundert Personen; Männer, Frauen, aber auch Kinder und alte Leute, die kaum noch die Kraft zu haben schienen, auf den Füßen zu stehen. Einige der Frauen trugen sogar Säuglinge auf den Armen. Im Zentrum des Platzes loderte ein gewaltiges Feuer. Der Scheiterhaufen war auf gut doppelte Mannshöhe aufgetürmt worden, und die Flammen loderten noch dreimal so hoch. Funken stoben in glühenden Schwärmen aus dem brennenden Stapel, und selbst die Luft schien von einem rötlichen Glühen erfüllt zu sein. Es sah aus, als brenne der Himmel über der Stadt.
    Vorsichtig trat ich auf den Platz hinaus, achtete aber sorgsam darauf, im Schatten zu bleiben, so daß ich von den Leuten vor mir, deren Augen ohnehin an das grelle Licht des Feuers gewöhnt waren, nicht gesehen werden konnte. Mir war nicht
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