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Der Hexer - NR15 - Wo die Nacht regiert

Der Hexer - NR15 - Wo die Nacht regiert

Titel: Der Hexer - NR15 - Wo die Nacht regiert
Autoren: Verschiedene
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ganz klar, was diese Männer und Frauen taten; eine Anzahl von ihnen hatte sich an den Händen ergriffen und bildete einen weiten Kreis um das Feuer, als warteten sie auf ein geheimes Zeichen, um einen Tanz zu beginnen. Andere wiederum standen einfach da und blickten in die Flammen oder zu Boden, und noch immer hörte ich diesen dumpfen, an- und abschwellenden Singsang.
    Es war kein Lied; keine Worte. Nicht einmal klar formulierte Laute, sondern nur ein düsteres Summen, das einem eigenen, schwer zu bestimmenden Rhythmus folgte. Ich hatte das Gefühl, diesen Rhythmus kennen zu müssen. Eine sonderbare Stimmung der Erwartung lag über dem Platz.
    Ich wich noch weiter in die Schatten zurück, sah mich sichernd nach allen Seiten um und begann den Platz zu umrunden. Ich benötigte dafür wohl nicht mehr als zwei, allerhöchstens drei Minuten; aber als ich das Haus der Bordens erreichte, hatte ich das Gefühl, Stunden unterwegs gewesen zu sein. Ich war in Schweiß gebadet, obwohl es jetzt, nach Sonnenuntergang, wieder kalt geworden war.
    Vorsichtig trat ich ein und schob die Tür hinter mir ins Schloß. Das Haus war still, und das Raunen der Menschenmenge draußen auf dem Marktplatz war nur noch als dumpfes Murmeln zu vernehmen. Es war dunkel. Die Tür zum Wohnraum stand offen, aber es brannte kein Licht.
    Ich erreichte den Wohnraum – und blieb abermals wie versteinert stehen.
    Der Tote lag noch immer vor dem Kamin. Jemand hatte ihn auf den Rücken gedreht, so daß ich sein Gesicht wie einen hellen Fleck in der grauen Dämmerung erkennen konnte, aber ansonsten lag er noch so da, wie ich ihn in Erinnerung hatte. Der Gedanke, daß Several den Tag in diesem Haus verbracht hatte, zusammen mit ihrem toten Mann, ließ mich frösteln.
    Dann sah ich die Gläser auf dem Tisch, und plötzlich fiel mir auch der Tabaksgeruch auf, der in der Luft lag. Es war Pfeifentabak, einer von der billigen Sorte, die wie verbranntes Wildschwein riecht, und es war mehr als ein halbes Dutzend Gläser, in denen zum Teil noch die Reste von Weinbrand standen. Und plötzlich fielen mir noch mehr Einzelheiten auf, die ich im ersten Moment übersehen hatte: das große Ölgemälde neben der Tür hing schief, ein Stuhl war umgestürzt und der Teppich an einer Ecke zu unordentlichen Wellen aufgeschoben. Alarmiert wandte ich mich um, ging in die Diele und lauschte mit angehaltenem Atem.
    Das Haus war nicht so still, wie ich im ersten Augenblick geglaubt hatte. Das dumpfe Raunen der Menschenmenge draußen auf dem Platz übertönte alle anderen Laute, aber wenn ich mich anstrengte, konnte ich Stimmen hören. Die Stimmen von zwei, drei Menschen, die irgendwo über mir miteinander redeten. Vorsichtig begann ich die Treppe hinauf zu gehen. Die altersschwachen Stufen ächzten unter meinem Gewicht, und meine überreizten Nerven ließen mich das Geräusch zehnmal lauter hören, als es in Wirklichkeit war. Trotzdem blieb ich stehen und nahm meinen Stockdegen zur Hand, zog die Waffe aber nicht aus ihrer Umhüllung, sondern drehte sie so herum, daß ich den kinderfaustgroßen Knauf als Keule benutzen konnte.
    Die Stimmen wurden lauter, als ich den Treppenabsatz erreicht hatte und abermals stehenblieb, und ich identifizierte sie jetzt als die von zwei Männern, die sich unterhielten. Ab und zu hörte ich ein gedämpftes Lachen.
    Ich ging weiter, erreichte die Tür, hinter der ich die Stimmen vernahm, und ließ mich behutsam in die Hocke sinken, um durch das Schlüsselloch zu spähen.
    Was ich sah, ließ meinen Puls um das Doppelte schneller schlagen. Ich erblickte einen kleinen Ausschnitt eines hell erleuchteten, liebevoll eingerichteten Schlafzimmers: ein Bett, einen Teil eines Stuhles, von dem zwei übereinandergeschlagene Beine baumelten, einen Spiegel, in dem sich die Tür und ein Teil der danebenliegenden Wand spiegelten... Auf dem Bett lag eine gefesselte Frau.
    Es dauerte einen Moment, bis ich Several erkannte.
    Ihr Kleid war zerrissen. Sie war mit einem zusammengedrehten Taschentuch geknebelt worden: Das Haar hing ihr wirr in die Stirn, und ich sah, daß ihr Gesicht geschwollen war, als wäre sie geschlagen worden, und ihre Arme waren auf die gemeinste Art und Weise auf den Rücken gebogen und zusammengebunden worden, die ich je gesehen hatte. Der Anblick ließ eine Woge heißer Wut in mir emporsteigen. Instinktiv wollte ich aufspringen, die Tür aufstoßen.
    Dann sah ich etwas, was mich noch einmal innehalten ließ. Das Beinpaar, das ich zum Teil erkennen
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