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Der Hexer - GK567 - Als der Meister starb

Der Hexer - GK567 - Als der Meister starb

Titel: Der Hexer - GK567 - Als der Meister starb
Autoren: Verschiedene
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hätte: ich bin nicht kriminell, und Gewalt ist mir zuwider. Aber es gibt einen Teufelskreis in den großen Städten an der Ostküste, aus dem man nicht mehr herausfindet. Als ich nach New York kam, war ich sechzehn und hatte außer den sechsundneunzig Einwohnern von Waldnut Falls, dem Kaff, in dem ich geboren und aufgewachsen bin, noch keine Menschenseele gesehen. Die Tante, bei der ich groß geworden bin (es war nicht wirklich meine Tante, sondern einfach eine grundgütige Frau mit einem großen Herzen, die sich meiner annahm, nachdem meine Eltern mich bereits als Säugling ausgesetzt hatten), war gestorben, und ihre gesamte Hinterlassenschaft bestand aus sieben Dollar, einem winzigen silbernen Kreuz an einer Kette – und einer Fahrkarte nach New York. In dem Brief, den sie ihrem Testament beifügte, erklärte sie mir, daß sie hoffte, ich würde in der großen Stadt mein Glück machen und ein anständiger Bursche werden.
    Gute Tante Maude! Sie mochte die liebenswerteste Frau sein, die jemals gelebt hat, aber von den Menschen verstand sie nichts. Vielleicht wollte sie auch einfach nicht glauben, daß die Welt schlecht ist.
    Aber sie ist es, und ich brauchte nur ein paar Tage, um es herauszufinden. Die sieben Dollar waren bald aufgebraucht. Für einen Burschen vom Lande wie mich gab es in der Stadt kaum eine Arbeit, und schließlich blieb mir nichts anderes übrig, als zu stehlen und mich einer der Jugendbanden anzuschließen, deren Revier die Hafenbezirke der Stadt waren. Ich schlief unter den Kais, arbeitete, wenn ich etwas fand, und stahl, wenn ich nichts fand. Jetzt, im Nachhinein, ist es mir ein Rätsel, wie es mir gelungen ist – aber irgendwie konnte ich mich während der gesamten acht Jahre meiner zweifelhaften Karriere von allen wirklich schweren Verbrechen fernhalten; wenn meine Kameraden einen größeren Einbruch begingen oder gar ein Mord geschah (auch das kam vor), war ich nie dabei.
    Und trotzdem wäre ich wahrscheinlich über kurz oder lang in einem Zuchthaus oder am Galgen gelandet – wenn ich nicht Randolph Montague getroffen hätte.
    Randolph Montague, der Hexer. Ich habe erst später erfahren, daß man ihn so nennt. Als ich ihn das erste Mal traf, stand er mit dem Rücken zu mir, in einer lässigen Pose, die seiner eleganten Kleidung und seiner distinguierten Erscheinung widersprach, gegen den Pfahl einer Gaslaterne gelehnt und eine seiner dünnen schwarzen Zigarren im Mundwinkel. Und ich lag zwei Schritte hinter ihm im Schmutz einer Mülltonne im Dreck und überlegte, wie ich ihn am sichersten bewußtlos schlagen konnte, um ihm die Geldbörse abzunehmen. Ich wunderte mich ein wenig, was ein Mann wie er kurz nach Mitternacht in einer so verrufenen Gegend verloren haben mochte, noch dazu allein und offensichtlich unbewaffnet. Er wäre nicht der erste Fremde, der aus falsch verstandener Abenteuerlust alle guten Ratschläge in den Wind schlug und nach Dunkelwerden hier herunter zum Hafen kam, um später auf irgendeiner Cocktailparty erzählen zu können, wie mutig er doch war. Nun, er würde sich wundern, wenn er am nächsten Morgen mit brummendem Schädel und leerer Brieftasche aufwachte.
    Vorsichtig richtete ich mich hinter meiner Deckung auf, spähte sichernd die Straße hinab und packte den Sandsack, den ich ihm über den Schädel zu ziehen gedachte, etwas fester. Der Fremde regte sich nicht, sondern paffte weiter an seiner Zigarre und schien darauf zu warten, daß ihm der Himmel auf den Kopf fiel (was er gleich tun würde). Aber ich blieb weiter reglos hocken Und wartete. Ich hatte Zeit; die Streife war erst in gut zwei Stunden fällig, und kein Mensch, der seine fünf Sinne beisammen hat und diese Gegend kannte, hätte sich nach Dunkelwerden hierher getraut. Ich beobachtete ihn fast eine Viertelstunde, ohne daß er sich bewegt hätte. Schließlich schnippte er seine Zigarre fort, nahm eine neue aus einem schmalen silbernen Etui, das er in der Westentasche trug – ich registrierte es genau und fügte der Liste der Dinge, die ich am nächsten Morgen meinem Hehler bringen würde, einen weiteren Posten hinzu – und riß ein Streichholz an.
    Und genau in diesem Moment sprang ich vor.
    Ich weiß bis heute nicht, wie er es gemacht hat. Eigentlich weiß ich nicht einmal sicher, was er gemacht hat; der Abstand zwischen ihm und mir betrug nicht einmal ganz zwei Schritte, und ich bin sicher, daß ich nicht den geringsten Laut verursacht hatte. Wenn man acht Jahre in den Slums von New York überlebt
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