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Der Hexer - GK567 - Als der Meister starb

Der Hexer - GK567 - Als der Meister starb

Titel: Der Hexer - GK567 - Als der Meister starb
Autoren: Verschiedene
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hat, dann hat man gelernt, sich wie eine Katze zu bewegen – aber das nächste, woran ich mich erinnere, ist, daß ich auf dem Rücken lag, nach Luft schnappte und auf die Klinge des Degens starrte, die Montague mir gegen die Kehle hielt. Und dabei lächelte er immer noch und paffte an seiner Zigarre, als wäre nichts geschehen.
    Er hätte mich ins Zuchthaus bringen können, damals. Die Gerichte in den Staaten sind verdammt kleinlich – ein sandgefüllter Strumpf wie der, den ich bei mir hatte, gilt mit etwas Pech und einem Richter, der Zahnschmerzen und eine grantige Frau zu Hause hat, bereits als tödliche Waffe, und mein Überfall hätte mir im besten Fall fünf Jahre (und im schlechtesten fünfundzwanzig) eingebracht, hätte Montague mich der Polizei ausgeliefert. Er hätte mich auch auf der Stelle töten können; niemand hätte auch nur eine mißtrauische Frage gestellt.
    Aber er tat nichts dergleichen, sondern steckte im Gegenteil seinen Degen ein, half mir auf die Füße – und bot mir mit dem freundlichsten Lächeln der Welt eine Zigarre an.
    »Sie haben ziemlich lange gebraucht, um sich zu ihrem Entschluß durchzuringen, junger Mann«, sagte er. Es waren die ersten Worte, die er zu mir sprach, und ich werde sie niemals vergessen. Er hatte gewußt, daß ich hinter ihm auf der Lauer lag, die ganze Zeit über, und er hatte nicht den geringsten Versuch gemacht, mich daran zu hindern. Ich ignorierte die Zigarre, die er mir anbot, weniger, weil ich sie nicht mochte, als vielmehr, weil ich viel zu perplex war, um überhaupt einen klaren Gedanken fassen zu können, aber Montague grinste mich weiter an und fragte mich auf seine schon fast übertrieben höfliche Art, ob ich ihn zu seinem Wagen folgen würde.
    Er brachte mich in ein Lokal – einen dieser piekfeinen teuren Schuppen, in denen ein halbes Dutzend Kellner in gestärkten Hemden herumschwirren und ein Glas Wein soviel kostet, wie unsereins in einer Woche verdient, und wir redeten. Zuerst sprach er, aber nach und nach brachte er mich dazu, von mir zu erzählen: von meiner Jugend, dem Ort, in dem ich aufgewachsen bin, Tante Maude, meinem Leben hier in New York – alles. Ich dachte damals, es wäre der ungewohnte Champagner, der meine Zunge löste, aber heute bin ich mir sicher, daß es nur an ihm lag. Ich weiß nicht wie, aber Montague brachte mich dazu, ihm mehr über mich zu erzählen als jemals einem anderen Menschen zuvor. Wir unterhielten uns die ganze Nacht, und als uns der Oberkellner schließlich hinauskomplimentierte, ging draußen bereits die Sonne auf.
    Zum Abschied schenkte mir Montague dann sein silbernes Zigarrenetui und fünfzig Dollar.
    Ich habe die Geschichte keinem erzählt – es hätte mir sowieso niemand geglaubt – und nach ein paar Wochen begann ich den merkwürdigen Fremden zu vergessen.
    Aber viereinhalb Monate später war er wieder da, und diesmal suchte er mich.
    Er war verändert. Der Streifen weißen Haares über seinem rechten Auge war breiter geworden, und in seinem Blick lag ein gehetzter, fast angstvoller Ausdruck, den ich nur zu gut kannte. Er wirkte um Jahre älter als in jener Nacht, in der ich ihn zum ersten Mal gesehen hatte.
    Was er von mir wollte, war so einfach wie unglaublich: Mich. Er erzählte, daß er Amerika verlassen und nach England gehen würde, und er bat mich, ihn zu begleiten, offiziell als sein Sekretär, in Wirklichkeit als eine Art Mädchen für alles: Butler, Koch, Kutscher – und Leibwächter. Der letzte Teil seiner Eröffnung überraschte mich kaum noch. Ich habe den Ausdruck, der damals in seinen Augen stand, oft genug gesehen, um zu wissen, was in Randolph Montague vorging.
    Er hatte Angst. Panische Angst.
    Ich habe ihn nie gefragt, vor wem er davonlief, weder damals noch während der Überfahrt. Aber ich sagte zu. New York hat mir nie gefallen, und ich stehe auf dem Standpunkt, daß mir Amerika mehr genommen als gegeben hat – die fünfundzwanzig besten Jahre meines Lebens nämlich, die ich in Armut und Not verbracht hatte – und der Gedanke, auf diese Weise vielleicht eine zweite Chance zu bekommen und auf dem Kontinent noch einmal neu anfangen zu können, erschien mir verlockend.
    Noch am gleichen Abend gingen wir an Bord des Schiffes, und als die Sonne am nächsten Morgen aufging, waren wir bereits fünfzig Meilen weit draußen auf See ...
    Ein leises, mühevolles Stöhnen drang in meine Gedanken. Ich fuhr hoch, stand mit einer fast schuldbewußten Bewegung auf und beugte mich erneut über
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