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Der Hexenturm: Roman (German Edition)

Der Hexenturm: Roman (German Edition)

Titel: Der Hexenturm: Roman (German Edition)
Autoren: Deana Zinßmeister
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Verschlafen rieb sie sich die Augen. Burghard kauerte sich gähnend neben Clemens und blickte zweifelnd zum Himmel. »Wohin willst du denn jetzt noch? Bald wird es dunkel.«
    Katharina schlug zaghaft vor: »Wir könnten die Nacht in der Höhle verbringen. Hier ist es trocken und sicher.«
    »Nein, ich finde, Clemens hat Recht! Wir sollten weiterziehen«, entgegnete Johann. »Schließlich haben wir den ganzen Nachmittag geschlafen. Ich bin nicht mehr müde und wüsste nicht, weshalb wir hierbleiben und kostbare Zeit vergeuden sollten. Wir müssen ja nicht bis zum Morgengrauen marschieren. Aber wenigstens eine Weile. Zumal uns der Vollmond den Weg erhellen wird.«
    Mit diesen Worten kroch er hinter Clemens nach draußen. Burghard zögerte, doch als Franziska hinter ihm drängelte, schlüpfte auch er durch den kleinen Eingang.
    »Wir gönnen uns kaum Ruhe«, maulte Katharina leise. »Immer müssen wir weiter. Ich bin erschöpft und könnte tagelang schlafen. Wir wissen nicht einmal, wo wir sind. Ich habe keine Lust, durch die Nacht zu stapfen, ich bleibe hier.«
    Franziska, die eben hinter Burghard nach draußen kriechen wollte, hielt inne und wandte sich zu Katharina um, die stur auf dem Boden saß und sich nicht von der Stelle rührte. »Nun komm, Katharina«, sagte sie sanft, »sonst müssen wir ohne dich gehen. Und du willst doch nicht allein hier zurückbleiben.«
    Katharina zögerte noch immer, doch als auch Franziska die Höhle verlassen hatte, gab sie sich einen Ruck und kroch hastig hinterher. Draußen warteten ihre Weggefährten bereits auf sie. Als sie in ihre aufmunternden Gesichter blickte, verflog ihre Übellaunigkeit allmählich, und sie schulterte wie die anderen ihren Beutel mit den wenigen Habseligkeiten und folgte Clemens durch den Wald.

     
    Seit Johann und Franziska, Clemens, Katharina und Burghard auf der Flucht waren, blieben sie nie länger als eine Nacht am selben Ort. Obwohl die fünf nach monatelanger Reise erschöpft waren, trieb stete Unruhe sie vorwärts. Denn die Angst, dass ihre Häscher sie einholen könnten, saß ihnen in jedem Augenblick im Nacken.
    Sie sprachen kaum über das, was sie erlebt hatten. »Wir wollen nach vorn blicken und nicht zurückschauen!«, hatten sie beschlossen. Sie hofften, mit diesem Leitspruch ihre Sehnsucht nach dem verlorenen Zuhause erträglich zu machen. Dennoch stimmte sie jeder heimliche Gedanke daran traurig.
    Das Eichsfeld in Thüringen war bis vor drei Monaten ihre Heimat gewesen, und alle fünf hatten sie von dort fliehen müssen. Das verband sie, obwohl ein jeder von ihnen seine ganz eigenen Gründe für die Flucht hatte.
     
    Der neunzehnjährige Clemens war der Schweigsamste unter ihnen. Anfangs hatte er mürrisch die Gesellschaft der anderen abgelehnt und war stets einige Schritte hinter ihnen gegangen. Er blieb nur in der Gruppe, weil das Reisen mit anderen sicherer war. Stumm ertrugen seine Weggefährten sein schroffes Wesen, denn sie ahnten, dass sein Verhalten mit seinem entstellten Aussehen zu tun haben musste. Sobald man ihn ansprach, wandte er den Kopf ab und vermied so, dass man ihm ins Gesicht blicken konnte. Nur langsam vertraute er ihnen, und erst als er ihnen eines Tages offen in die Augen sehen konnte, erfuhren sie seine ganze Leidensgeschichte.
    Mit versteinertem Blick berichtete Clemens stockend, was ihm widerfahren war: Seine Eltern hatten ihm und seiner Schwester Anna ein beachtliches Vermögen hinterlassen, das Annas Mann, der Notar Wilhelm Münzbacher, an sich reißen wollte. Nachdem er sich Annas Vertrauen erschlichen hatte, verfolgte er den Plan, seine Frau in einem Kloster wegzusperren. Seinen Schwager Clemens aber versuchte er kaltblütig bei lebendigem Leib in einer Scheune zu verbrennen. Nachdem der Mordversuch fehlgeschlagen war, beauftragte er einen Meuchelmörder, der die Tat vollenden sollte.
    Zwar war Münzbacher durch einen Unfall zu Tode gekommen, doch der Mörder verfolgte sein Opfer weiter. Clemens kannte den Namen des Meuchelmörders, doch wusste er nicht, wie sein Verfolger aussah. Jeden Fremden, der ihren Weg kreuzte, beäugte Clemens deshalb misstrauisch. Auch war es in seinem Sinne, dass sie abseits der öffentlichen Wege marschierten, wo ihnen kaum jemand begegnete. Clemens war sich bewusst, dass er wegen seines Gesichts und seiner Hände, die seit dem Brandanschlag entstellt waren, die Blicke Fremder auf sich zog. Und er konnte das Entsetzen und das Mitleid in ihren Augen dabei nur schwer
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