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Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Titel: Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet
Autoren: Christopher Hitchens
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gleich auf, dass man diese Frage nicht mit Ja oder Nein beantworten kann. Dennoch konnte ich auf Anhieb eine Antwort auf die Frage geben, die für mich ganz und gar nicht hypothetisch war. »Ich beschränke mich jetzt einmal auf den Buchstaben B. In Belfast, Beirut, Bombay, Belgrad, Bethlehem und Bagdad habe ich so eine Situation schon erlebt. In jedem Fall kann ich behaupten, und dies auch begründen, dass ich mich unmittelbar bedroht fühlte, wenn ich annahm, dass die Männer, die mir im Dämmerlicht begegneten, aus einer religiösen Veranstaltung kamen.«
    Ich will kurz die religiös motivierten Grausamkeiten zusammenfassen, die ich in diesen sechs Städten erlebt habe. In Belfast habe ich gesehen, wie im Krieg zwischen den christlichen Konfessionen ganze Straßenzüge niedergebrannt wurden. Ich habe mit Menschen gesprochen, deren Verwandte und Freunde von rivalisierenden religiösen Todeskommandos entführt, getötet oder gefoltert worden waren, häufig allein deswegen, weil sie der jeweils anderen Konfession angehörten. In Belfast gibt es einen alten Witz: Ein Mann wird an einer Straßensperre angehalten und nach seiner Konfession gefragt. Als er antwortet, dass er Atheist sei, fragt man ihn: »Protestantischer oder katholischer Atheist?« Der Witz belegt in meinen Augen, dass der Fanatismus sogar den legendären irischen Sinn für Humor zerrüttet hat. Dessen ungeachtet hat ein Freund von mir so etwas tatsächlich erlebt und fand das alles andere als amüsant. Als Vorwand für das Chaos dienen konkurrierende Nationalismen, doch die Sprache, deren sich die rivalisierenden Horden auf den Straßen befleißigen, ist durchzogen von Verunglimpfungen der jeweils anderen Konfession (»prods« für Protestanten und »teagues« für Katholiken). Viele Jahre lang grenzte das protestantische Establishment die Katholiken aus und unterdrückte sie, ja, die Gründung des Staates Ulster stand unter dem Wahlspruch: »Ein protestantisches Parlament für ein protestantisches Volk«. Sektierertum entsteht praktischerweise ganz von allein und generiert mit schöner Regelmäßigkeit Sektierertum auf der anderen Seite. Über den wichtigsten Punkt war sich die katholische Führung schnell einig: Sie wünschte vom Klerus beherrschte Schulen und getrennte Stadtviertel, um ihren Einfluss zu sichern. Also drillte sie im Namen Gottes Generationen von Schulkindern mit den alten Hasstiraden und tut das bis heute. Schon beim Wort »drillen« wird mir übel: Mit einem elektrischen Bohrer ( drill ) pflegte man denjenigen, die sich mit den religiösen Banden anlegten, gern die Kniescheibe zu zertrümmern.
    Als ich im Sommer 1975 zum ersten Mal nach Beirut kam, war es noch als »Paris des Orients« erkennbar. Doch in dem scheinbaren Garten Eden tummelten sich bereits zahlreiche Schlangen. Die Stadt litt unter der Vielzahl von Religionen, die in der sektiererischen Staatsverfassung alle berücksichtigt waren: Der Präsident musste Christ sein, für gewöhnlich maronitischer Katholik, der Parlamentspräsident Muslim und so weiter. Diese Regelung funktionierte nie besonders gut, weil sie Unterschiede im Glauben, in der sozialen Stellung und in der Ethnie institutionalisierte; so befanden sich die schiitischen Muslime am unteren Ende der sozialen Skala, und die Kurden hatten nicht einmal das Wahlrecht.
    Bei der größten christlichen Partei handelte es sich in Wahrheit um eine katholische Miliz, die »Phalange« (»Phalanx«). Gegründet hatte sie der maronitische Libanese Pierre Gemayel, auf den Hitlers Olympische Spiele, die er 1936 in Berlin besuchte, großen Eindruck gemacht hatten. Im Jahr 1982 erlangte die Phalange traurige internationale Berühmtheit, als sie in den Flüchtlingslagern Sabra und Schaala in Zusammenarbeit mit dem israelischen Kriegsminister Sharon ein Blutbad unter Palästinensern anrichtete. Dass ein jüdischer General mit einer faschistischen Partei gemeinsame Sache machte, erscheint reichlich grotesk, allerdings hatte man einen gemeinsamen muslimischen Feind, was Grund genug war. Die israelische Invasion des Libanon in jenem Jahr war ein zusätzliches Motiv für die Gründung der Hisbollah. Die Organisation, deren Namen bescheiden »Partei Gottes« bedeutet, mobilisierte die schiitische Unterschicht und unterstellte sie nach und nach der Führung durch die theokratische Diktatur im Iran, die drei Jahre zuvor an die Macht gekommen war. Es geschah übrigens auch im herrlichen Libanon, dass die Gläubigen, nachdem sie der
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