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Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Titel: Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet
Autoren: Christopher Hitchens
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Naturwissenschaften, Geschichte und die menschliche Natur steht. Sie ist der Anfang – aber durchaus nicht das Ende – aller Auseinandersetzungen über das rechte Leben und die gerechte Stadt. Der religiöse Glaube ist, eben weil wir noch so unzureichend entwickelt sind, unausrottbar. Er wird nie aussterben, zumindest nicht, solange wir unsere Angst vor dem Tod, vor der Dunkelheit, vor dem Unbekannten und voreinander nicht überwunden haben. Deshalb würde ich ihn nicht verbieten, selbst wenn ich es könnte. Sehr großzügig, nicht wahr? Doch werden die Vertreter der Religionen mit mir die gleiche Nachsicht haben? Ich stelle diese Frage, weil es einen echten und ernst zu nehmenden Unterschied zwischen mir und meinen religiösen Freunden gibt, und meine echten und ernst zu nehmenden Freunde sind so aufrichtig, ihn einzugestehen. Ich gehe bereitwillig zur Bar-Mizwa ihrer Kinder, bewundere ihre gotischen Kathedralen, »respektiere« ihren Glauben daran, dass der Koran – ganz und ausschließlich – auf Arabisch einem des Lesens und Schreibens unkundigen Kaufmann diktiert wurde, interessiere mich für die tröstenden Worte der Wicca, der Hindus und der Jaina. Das werde ich auch weiter so halten, ohne darauf zu bestehen, dass höflichkeitshalber dasselbe umgekehrt gilt: dass sie mich auch in Ruhe lassen.
    Doch dazu ist die Religion einfach nicht imstande. Während ich diese Worte schreibe und sie gelesen werden, planen Gläubige auf diverse Arten unsere Zerstörung und die Zerstörung all der erwähnten mühsam erarbeiteten Errungenschaften. Die Religion vergiftet alles.

Kapitel zwei:

Religion tötet

Seine Abneigung gegen die Religion, in dem Sinne, den man dem Begriff für gewöhnlich zuweist, war von der gleichen Art wie bei Lukrez: Er brachte ihr Gefühle entgegen, wie sie einer Wahnvorstellung gebühren, die aber großes moralisches Übel mit sich bringt. Er erachtete sie als den größten Feind der Moral: erstens, weil sie künstliche Verdienste vorschreibt – Glaubensbekenntnisse, fromme Gefühle und Zeremonien, die nichts mit dem Guten im Menschen zu tun haben – und dafür sorgt, dass diese als Ersatz für echte Tugend anerkannt werden, vor allem aber, weil sie den moralischen Maßstab aufs Äußerste verletzt; sie füllt ihn mit dem Willen eines Wesens, das sie mit allen Floskeln der Verehrung überhäuft, jedoch, nüchtern betrachtet, als ausnehmend abscheulich beschreibt.
    John Stuart Mill über seinen Vater, Autobiography

    Tantum religio potuit suadere malorum. (So viel Übel vermochte die Religion den Menschen einzureden.)
    Lukrez, De rerum natura

    Stellen wir uns einmal vor – was mir allerdings schwerfällt –, wir glaubten an einen unendlich gütigen und allmächtigen Schöpfer, der sich ein Bild von uns gemacht, uns geschaffen, geformt und in die für uns angefertigte Welt gesetzt hat; dieser Schöpfer wacht nun über uns und kümmert sich um uns, selbst dann, wenn wir schlafen. Stellen wir uns nun weiter vor, die Einhaltung der von ihm in Liebe erlassenen Regeln und Gebote berechtigte uns zu ewigem Leben in Glückseligkeit und Ruhe. Ich behaupte nicht, dass ich mir diesen Glauben wünschte – der auf mich wirkt wie das Bedürfnis nach einer grauenhaften Variante einer gütigen und unumstößlichen Diktatur – doch mir stellt sich dabei eine ernsthafte Frage: Warum macht so ein Glaube seine Anhänger nicht glücklich? Sie müssen doch davon ausgehen, ein wunderbares Geheimnis zu besitzen, an das sie sich selbst in Momenten größter Not klammern können.
    Oberflächlich betrachtet sieht es bisweilen auch danach aus. Ich habe Gottesdienste erlebt, in schwarzen wie in weißen Gemeinden, die ein einziger langer Freudenjauchzer darüber waren, erlöst und geliebt zu sein und so weiter. In allen Konfessionen und in fast allen nichtchristlichen Glaubensgemeinschaften sollen Gottesdienste eine Feier und ein gemeinsames Fest sein, weshalb sie mir auch so suspekt sind. Es gibt natürlich auch eher verhaltene, nüchterne und elegante Momente. Als Mitglied der griechisch-orthodoxen Kirche konnte ich die Freude in den Worten der Gläubigen am Ostermorgen spüren, obwohl ich sie nicht glaubte: »Christos anesti!« (»Christus ist auferstanden!«) »Alethos anesti!« (»Er ist wahrhaftig auferstanden!«) Zu einem Mitglied der griechisch-orthodoxen Kirche wurde ich übrigens aus dem gleichen Grund, aus dem sich viele Menschen einer ihnen fremden Religion verpflichten: Ich trat meinen griechischen
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