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Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Titel: Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet
Autoren: Christopher Hitchens
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Krippenplatz. Dieser Platz bildet, wie der Name bereits andeutet, das Zentrum einer Touristenfalle, die mit ihrer Geschmacklosigkeit selbst Lourdes in den Schatten stellt. Als ich die erbärmliche Stadt zum ersten Mal besuchte, unterstand sie nominell der Kontrolle einer überwiegend christlich-palästinensischen Gemeindeverwaltung, die vor allem von der politischen Dynastie der Familie Freji beherrscht wurde. Bei jedem meiner nachfolgenden Besuche stand die Stadt gerade unter einer rigiden Ausgangssperre, die vom israelischen Militär verhängt worden war – dessen Präsenz an der West Bank wiederum in gewissem Zusammenhang steht mit dem Glauben an biblische Prophezeiungen, diesmal allerdings einem Versprechen, das ein anderer Gott einem anderen Volk gegeben hatte. Und hier kommt noch eine andere Religion ins Spiel. Die Streitkräfte der Hamas, die ganz Palästina als islamischen Waaf, also als ihr rechtmäßiges Land, fordern, haben bereits mit der Vertreibung der Christen aus Bethlehem begonnen. Ihr Führer Mahmud al-Sahar hat verkündet, dass alle Bewohner des Islamischen Staates Palästina dem muslimischen Gesetz unterstehen werden. In Bethlehem wird nun angeregt, Nichtmuslime der Jiziya zu unterwerfen, einer historischen Kopfsteuer, die im alten osmanischen Reich den Dhimmis oder Ungläubigen auferlegt wurde.
    Weibliche Verwaltungsangestellte dürften männliche Besucher nicht mehr mit Handschlag begrüßen. In Gaza wurde im April 2005 die junge Frau Jusra al-Asami erschossen, weil sie verbotenerweise unbeaufsichtigt mit ihrem Verlobten im Auto gesessen hatte. Der junge Mann kam mit einer Tracht Prügel davon. [FUSSNOTE4]

    Die »Tugendpolizisten« der Hamas-Führung rechtfertigten den Mord an der Frau und die Misshandlung des Mannes mit »dem Verdacht auf unmoralisches Verhalten«. Im einst säkularen Palästina spionieren nun Banden sexuell frustrierter junger Männer geparkte Autos aus und haben die Erlaubnis, nach Gutdünken zu handeln.
    In New York hörte ich einmal eine Rede des mittlerweile verstorbenen Abba Eban. Der eloquente und bedachte israelische Diplomat sagte, am israelisch-palästinensischen Streit falle als Erstes ins Auge, wie leicht er zu lösen sei. Von dieser faszinierenden Feststellung ausgehend, führte er mit der Autorität des ehemaligen Außenministers und UN-Vertreters aus, es gehe ja um eine sehr einfache Sache: Zwei etwa gleich große Völker beanspruchten das gleiche Land. Die Lösung bestehe offensichtlich darin, zwei getrennte Staaten zu bilden. Das sei doch klar und müsse jedem einleuchten? Und genau das wäre auch schon Jahrzehnte zuvor geschehen, wenn man die messianischen Rabbis, Mullahs und Priester aus der Sache herausgehalten hätte. Doch jüdische und muslimische Geistliche hätten lautstark Exklusivansprüche auf eine gottgegebene Macht erhoben, und Christen in Endzeitstimmung hätten in Erwartung der Apokalypse – welcher der Tod oder die Bekehrung sämtlicher Juden vorausgehen sollte – die Diskussion weiter angeheizt. So sei eine unerträgliche Situation entstanden, und die gesamte Menschheit sei zur Geisel eines Konflikts geworden, in dem nun sogar ein Atomkrieg droht. Die Religion vergiftet alles . Sie gefährdet nicht nur die Zivilisation, sondern auch das Überleben der Menschheit.
    Kommen wir zuletzt nach Bagdad. Die Stadt ist eines der wichtigsten Zentren der Kultur und der Gelehrsamkeit seit Beginn der Menschheit. Hier lagerten einige der verlorenen Werke des Aristoteles und anderer Griechen – »verloren« deshalb, weil die christliche Kirchenführung sie verbrannte oder verbot; die Philosophieschulen schloss sie, weil es vor den Lehren des Jesus keine nutzbringenden Gedanken zur Moral gegeben haben könne. In Bagdad wurden diese Schriften rückübersetzt und gelangten über Andalusien zurück in den unkultivierten »christlichen« Westen. Die Bibliotheken, Dichter und Architekten Bagdads waren berühmt. Viele Kulturleistungen wurden unter muslimischen Kalifen erbracht, die sie zuließen, ebenso häufig aber auch unterdrückten. Darüber hinaus gibt es in Bagdad Spuren des alten chaldäischen und nestorianischen Christentums, und es war eines der zahlreichen Zentren der jüdischen Diaspora. Bis Ende der Vierzigerjahre lebten dort ebenso viele Juden wie in Jerusalem.
    Zum Sturz Saddam Husseins im April 2003 werde ich hier nicht Position beziehen, sondern lediglich darauf hinweisen, dass, wer sein Regime als »säkular« bezeichnet, sich etwas vormacht.
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