Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Herr der zerstörten Seelen

Der Herr der zerstörten Seelen

Titel: Der Herr der zerstörten Seelen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
wie in einer Kirche jeweils fünf beinahe mannshohe Wachskerzen.
    »Geklaut«, flüsterte Köhler.
    Dann stammten sie also tatsächlich aus einer Kirche. Na gut, was wollte er weiterfragen? Zum Wundern war wohl jetzt nicht der richtige Zeitpunkt.
    Tommi wandte sich wieder seiner Kameratasche zu. Er hatte hochempfindliches Material für die Pentax mitgebracht, 32er-Filme, die trotz ihrer Sensibilität ein ganz gutes Auflösungsvermögen garantierten, und die Kerzen würden für die passende düstere Stimmung sorgen. Aber klare Bilder waren wohl trotzdem nicht drin.
    Tommi zog einen kleinen Klemmspot aus der Tasche. ›Eine diskrete Lichtquelle‹ hatte ›Bruder Jakob‹ ihm zugebilligt. Also suchte Tommi nach einem diskreten Platz und fand ihn auch: ein T-Eisen, das aus der Wand ragte. Er entdeckte eine Steckdose, schloß ein Kabel an. Die Steckdose spendete tatsächlich Strom. Reinecke sah auf seine Uhr. Es war kurz vor elf Uhr nachts. Der große Auftritt der Logen-Brüder war für Mitternacht angesagt, und die Vorstellung, in dieser sonderbaren, düsteren Zementhöhle darauf zu warten, wollte ihm nicht recht gefallen. »Was ich jetzt brauche, Köhler, ist ein Bier. Und einen Schnaps. Besser drei Schnäpse. Kommen Sie mit?« Köhler nickte.
    Als sie zurückkamen, war es zwanzig Minuten vor Mitternacht. Die Garage lag etwa vierzig Meter von der Straße entfernt zwischen verwilderten Schrebergärten und einem Reifenlager. Der Parkplatz davor war noch immer leer. Es war kalt, aber wenigstens regnete es nicht mehr. Die Seitentür des flachen Werkstattbaus stand offen. Ein wenig Licht drang heraus.
    Tommi blieb stehen.
    Irgend etwas hatte sich verändert. Köhler hielt ihn am Arm fest. »Was ist denn das?« flüsterte er.
    »Eine Orgel«, sagte Tommi. »Bach, Matthäus-Passion.«
    Die Töne wirkten in der grauen, feuchten Luft wie ein klarer, harter, funkelnder Strom. Sie wurden lauter und lauter, je mehr die beiden Männer sich der Tür des Seiteneingangs näherten. Genau in dem Augenblick, als sie durch die Tür traten, schlug die Musik um. Es war, als entlade sich ein Gewitter an einem Sommerabend. In die breit dahinfließende Orgelmusik jaulte ein ekstatischer Gitarrenschrei, dann kam das Wummern der Bässe, ein wildes, sich steigerndes Trommelfeuer von Rhythmus und Lärm. Black Sabbath gegen Bach … Und wer immer diese Kombination witzig fand, das Spielchen konnte er sich leisten: Nachbarn wurden nicht gestört.
    »Und wenn eine Streife kommt?« fragte Tommi.
    »Na und?« Köhler nahm seinen Kaugummi aus dem Mund und warf ihn auf den Boden. »Black Sabbath ist schließlich auch so was wie Kirchenmusik, oder?«
    Tommi folgte ihm zögernd. In dem großen, sich im Dunkel verlierenden Raum gab es eine einzige Lichtquelle: der Spot. Die Kerzen waren nicht angezündet, doch die Lichtrichtung des Spots war verändert worden. Der Schein lag nun auf einem kleinen Kerl, der völlig in sich versunken und unberührt von allem zwischen zwei Lautsprecherboxen am Boden kauerte und an seinem Regler herumfummelte.
    Jetzt hob er den Kopf. Dann stand er ganz langsam auf. Er trug eine Stahlbrille. Die runden Gläser funkelten. Er hatte eine dieser Bürstenfrisuren. Die Füße steckten in schwarzen Springerstiefeln, den ganzen Körper bedeckte ein grauer, langer weiter Hängerpulli. »He«, sagte er, »ihr seid das?«
    »Ja.« nickte Tommi. »Wir sind das.«
    »Ich muß den Scheiß da in die Reihe bringen.«
    Der ›Scheiß‹ war noch immer Black Sabbath. Die Matthäus-Passion hatte er abgestellt, Gott sei Dank. Aber im Vergleich zu dem Lärm von vorher war der Rock nun fast ein Flüstern.
    »Die ganze Bude ist nichts als Zement. Da kommen die Bässe nicht.« Der Kleine drehte auf. Und da kamen die Bässe. Tommi hatte das Gefühl, als schlage ihm eine ganze Serie von Fäusten gegen Magen und Zwerchfell.
    Er gab dem Spot die alte Richtung und flüchtete ins Lager zu seiner Kamera. Köhler folgte. Die Musik wurde wieder leise, und als sie dann aufs neue anhob, war es die Orgel, diesmal in langsamem, feierlichem Marschrhythmus.
    »Sie kommen«, flüsterte Köhler ihm ins Ohr.
    Draußen auf dem Platz war Motorenlärm zu hören. Dann ein lautes Metallscheppern. Sie zogen die Jalousie hoch, die den Eingang schützte. Köhler stand an der Lagertür, Tommi schob vorsichtig den Kopf an die Durchreicheluke und bewegte probehalber den Schwenker des Stativs.
    Die Kerzen brannten jetzt.
    Das offene Tor bildete ein graues Rechteck. Natürlich war
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher