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Der Herr der zerstörten Seelen

Der Herr der zerstörten Seelen

Titel: Der Herr der zerstörten Seelen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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… Tommi konnte sich das sagen, er konnte versuchen, etwas wie einen Wortsinn aus dem kreischenden Singsang herauszuhören, mit dem sie wohl eine katholische Messe verhöhnten: »Arsch im Himmel, erbarme dich unser!« Aber er konnte nicht verhindern, daß etwas anderes in ihm die Übermacht zu gewinnen versuchte: ein Gefühl, das wie ein Stromstoß war und ihn von der Zehe bis zu den Fingerspitzen durchschoß – Ekel. Aber Tommis Zeigefinger blieb ganz ruhig. Er schoß Bild auf Bild. Und wenn alles gutging, würde man später auf den Fotos sehen, wie pickelige Jungen vor einer Hebebühne Kreuze schwangen, Kreuze mit winzigen silbern leuchtenden Christusfiguren darauf.
    Sie hielten die Kreuze mit dem Kopf nach unten. Und lachten. Und grölten.
    Und jetzt?
    Jetzt warfen sie sie auf den ölbeschmutzten Boden. Ein dünnes Klappern hallte durch den Raum.
    Es war nur der Anfang.
    Tommi bekam Schwierigkeiten mit der Kamera. Es reichte, reichte wirklich. Sie rissen ihre Kutten hoch, faßten darunter, knöpften die Hosen auf und pinkelten – ja, pinkelten auf diesen armseligen kleinen Haufen von Kreuzen und schienen das ganz toll zu finden.
    Zwei hatten Bierflaschen zwischen den Zähnen und tranken, während es ihnen unten rauslief und sich eine glitzernde große Lache auf den Boden zwischen den Kreuzen bildete. Jakob, der Wahnsinnsbruder, hielt einen Silberpokal. Er grinste teuflisch, ließ ihn von den Jungen halb vollpinkeln und stellt ihn sorgsam, als zelebriere er das Abendmahl, auf die Hebebühne zurück.
    Tommi schraubte die Kamera vom Stativ.
    »Was ist denn?« zischte Köhler aufgeregt.
    »Sehen Sie doch. Infantiler Schweinekram. Ich mach' das nicht länger mit.«
    Er konnte Köhlers Gesicht nicht erkennen. Es war wie der ganze Köhler ein grauer Schatten. Nebenan begann es erneut, Orgelmusik und ›Bruder Jakobs‹ Stimme.
    »Mensch, jetzt … jetzt geht's erst los!« erregte sich Köhler.
    Tommi zögerte. Job blieb Job …
    »Hoher Fürst«, rief ›Bruder Jakob‹, »in Demut bitten wir dich, unseren neuen Bruder …«
    Die Stimme stockte. Jakob kam nicht weiter. Offensichtlich hatte er den Namen vergessen.
    Einer der Kapuzenköpfe flüsterte ihm etwas zu. Jakob nickte. »… unseren Bruder Jens als deinen Diener und als Mitglied unseres Ordens anzunehmen.«
    Das Sucherbild blieb zu dunkel, um vernünftig zu arbeiten. Reinecke ließ die Kamera sinken.
    Zuvor, unter all den Kutten und Kapuzen, hatte er den Jungen nicht ausmachen können. Aber da war er nun. Und jetzt lag auch Licht auf ihm. Der Junge war schmal, hochaufgeschossen und höchstens sechzehn Jahre alt. Er trug Jeans, die üblichen viel zu großen schwarzen Jogging-Schuhe und eine kurze Windjacke. Er stand mit gesenktem Kopf da, die Schultern hochgezogen, stand mit schwarzen Gummisohlen mitten in der widerlichen Pfütze, wirkte irgendwie armselig, nein, verängstigt.
    Nun drehte er den Kopf.
    Die Augen waren weit aufgerissen, und für eine quälende Sekunde hatte Tommi den Eindruck, als starrten sie nur ihn an, nein, als schrien sie um Hilfe. Der Mund des Jungen bewegte sich. Nun öffnete er ihn, und Tommi konnte eine Zahnspange blitzen sehen. Der Junge sagte etwas. Es war nicht zu hören. Vielleicht wußte er gar nicht, was er sagte. Es hatte den Anschein, als bekäme er nicht so recht mit, was um ihn herum vorging.
    »Gib deinen Arm«, forderte ›Bruder Jakob‹.
    Und wieder funkelte es im Strahl des Scheinwerfers. Eine Messerklinge. Tommi erkannte, daß sie gezackt war. Noch immer war er nicht imstande, sich zu rühren. Ein Junge, dachte er hilflos. Sechzehn. Eine Zahnspange. Und dieses Gesicht …
    Es verzerrte sich vor Schmerz. Und dann kam der Schrei – der Schrei eines gequälten, gepeinigten Kindes.
    Blut spritzte hoch.
    Die anderen lachten.
    Das Blut zog dunkle Linien über die helle Haut, tropfte zu Boden. In seinem Versteck ballte Tommi Reinecke so sehr die linke Faust, daß sich die Nägel ins Fleisch bohrten. Dieses Schwein! Dieses verrückte Dreckstück, das sich einen solchen Irrsinn ausgedacht hat …
    Was macht er jetzt?
    Nimmt den Pokal, winkelt dem Jungen den Arm ab, läßt das Blut hineinfließen – Blut in Urin! …
    Und als ob das nicht reichte, riß einer der beiden, die den Kleinen festhielten, ihm den Kopf zurück, während Jakob ihm den Pokalrand zwischen die Zähne schob.
    Tommi hatte genug, endgültig. Er ging zur Tür. Köhler hielt ihn an seinem Pullover fest. »Was ist denn?«
    »Was ich brauche, ist frische Luft. Und
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