Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Herr der Finsternis

Der Herr der Finsternis

Titel: Der Herr der Finsternis
Autoren: Sergej Lukianenko
Vom Netzwerk:
nachträglich in Schweiß aus.
    Das Schwarze Feuer erlosch. Als unter mir das Tal in purpurroten, fast schwarzen Flammen gestanden hatte, hatte ich immerhin gesehen, wie hoch ich inzwischen geklettert war. Mindestens fünfzig Meter! Zurück konnte ich jetzt nicht mehr. Also dann: Weiter nach oben!
    »Ich habe keine Angst«, wiederholte ich, als wäre das ein Zaube r spruch.
    Die Dunkelheit und die Stille folgten mir weiter den Berg hoch. Es wurde immer kälter, meine Finger starben fast ab, meine Füße spürte ich kaum noch. Als ich den nächsten Vorsprung erreichte, blieb ich lange liegen, um meine restlichen Kräfte zu mobilisieren. Dann e r kundete ich mit der Hand den Felsen. Und endlich berührten meine Finger wieder weiches Gras.
    Hatte ich es also doch geschafft! Ich rappelte mich hoch, krabbelte aus der steinernen Falle und gelangte zu einem Plateau, über das ein kalter Wind pfiff. Das Gras war nass vom Tau. Womöglich gab es in der Ferne ja noch andere Berge, aber mir kam es so vor, als ob um mich herum eine riesige freie Fläche lag. Hier hätte ich, ohne zu mu r ren, auf den Sonnenkater gewartet – wenn ich was zum Anziehen und zum Essen gehabt hätte.
    Normalerweise wäre ich jetzt völlig am Ende gewesen. Weil ich fror und weil ich mutterseelenallein allein war. Aber die geglückte Flucht vor den Wesen der Finsternis hatte etwas in mir verändert.
    Zu Hause, da heulte ich schon, wenn ich mich im Hof prügelte oder meine Mutter mit mir schimpfte. Aber hier war es selbst zum Weinen viel zu schrecklich. Andererseits hätte ich mich auch nicht ins Gras legen, gottergeben vor mich hinfrieren und auf die Rückkehr des K a ters warten können, denn ich platzte vor Stolz.
    Deshalb stellte ich mich kerzengerade hin, legte die Hände an den Mund und rief: »He! He!«
    Wahrscheinlich wollte ich einfach das Echo hören. Und mich übe r zeugen, dass es in dieser Dunkelheit noch andere Geräusche gab als das Klopfen meines Herzens.
    Doch noch bevor das ferne Echo meinen schwachen Schrei wieder zu mir zurückbrachte, zitterte ein paar Schritt von mir entfernt das Gras. »Eine Bewegung und ich bring dich um«, sagte jemand, den ich in der Finsternis nicht erkennen konnte.
    Angst bekam ich nur deshalb keine, weil die Stimme völlig anders klang als das zischende Pfeifen dieser geflügelten Wesen. Eigentlich hörte sie sich sogar wie die eines ganz normalen Menschen an.
    »Ich rühr mich bestimmt nicht vom Fleck«, antwortete ich leise.
    »Was hast du hier verloren?«, drang es an mein Ohr, offenbar aus größerer Nähe als gerade eben. Mein unsichtbarer Gesprächspartner pirschte sich also an mich heran.
    Was ich hier verloren hatte? Tolle Frage! Ich warte auf einen So n nenkater, erfriere allmählich und brülle mit letzter Kraft herum …
    »Ich warte auf den Sonnenaufgang«, antwortete ich, wobei ich i m mer noch stocksteif dastand.
    Jemand griff nach meiner Hand. Ich unterdrückte mit letzter Kraft einen Schrei.
    Der andere sagte: »Der Sonnenaufgang wird kommen.« Es klang formelhaft. Dann fuhr die Stimme fort: »Es hätte nicht viel gefehlt und ich hätte dich umgebracht.«
    »Ach ja?«, fragte ich automatisch. Jetzt hörte ich das leise Klirren von Metall.
    »Hast du die Freiflieger gesehen?«
    »Sie haben das Tal mit Schwarzem Feuer in Brand gesetzt«, sagte ich in der Hoffnung, die richtige Antwort zu geben.
    »Das habe ich mitbekommen. Die waren hinter mir her.«
    »Und dabei hätten sie mich beinah umgebracht.«
    Diese Worte gaben vermutlich den Ausschlag.
    »In dieser Gegend hätte ich doch nie jemanden vermutet«, rechtfe r tigte sich der Unbekannte verlegen. »Tut mir leid. Zum Glück ist dir ja nichts passiert. Gehen wir!«
    Er zog mich sanft mit sich. Ich streckte die freie Hand vor, um ni r gendwo dagegenzulaufen.
    »Wo ist denn deine Brille?«, fragte er sofort.
    »Ich habe noch nie eine gehabt.«
    »Wirklich nicht? Pass auf, hier sind Bäume.«
    Doch da war ich schon mit einem Aufschrei in einen zurückschne l lenden Zweig gelaufen. Obwohl der andere mich nicht rechtzeitig g e warnt hatte, war ich nicht sauer auf ihn.
    »Wir sind gleich da. Bück dich!«
    Gehorsam bückte ich mich und spürte, wie fester Stoff mein Gesicht streifte. Ich zwängte mich dem Unbekannten hinterher durch einen schmalen Spalt, hinein in etwas Warmes, offenbar ein kleines Zelt.
    »Mach den Eingang wieder zu! Ach, stimmt ja, du siehst ja nichts. Setz dich.«
    Hinter mir raschelte der Stoff. Dann klatschte der Jemand in die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher