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Der Herr der Finsternis

Der Herr der Finsternis

Titel: Der Herr der Finsternis
Autoren: Sergej Lukianenko
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gewaltig ins Schleudern. Klar, ein kleines Tier, das Steine frisst, muss ein kleiner Steinbeißer sein. Das weiß jedes Kind. Fol g lich muss dieser Sonnenball hier ein Sonnenkater sein – weil er einem Ball halt überhaupt nicht ähnelt.
    »Kann denn jeder Sonnenball lebendig werden, wenn man ihn ruft?«, fragte ich vorsichtig, denn ich befürchtete, der Kater könnte gleich wieder einschnappen.
    »Wo denkst du hin!« Er tat entrüstet und schüttelte den Kopf. »J e der? Pah! Nur das Wahre Licht, zurückgeworfen vom Wahren Spi e gel, kann uns beleben.«
    »Und was ist … ?«, setzte ich an.
    Der Kater wartete das Ende meiner Frage gar nicht erst ab. »Das Wahre Licht ist das Sonnenlicht«, erklärte er, während er über meine Bettdecke stolzierte. »Und Sonnenlicht ist etwas sehr Kostbares. Denn die meisten Sonnenstrahlen kommen gar nicht hier an. Lediglich einer unter Abertausenden von Sonnenstrahlen schafft es, zur Erde vorz u dringen. Bei Sonnenaufgang oder bei Sonnenuntergang … « Der Kater sah zum Fenster hinaus und verzog angewidert das Gesicht. » … und manchmal sogar bei solchem Sauwetter.«
    Er schwieg eine Weile, dann öffnete er den Mund wieder und fuhr sich entschuldigend mit der Pfote über den Kopf. »Und was der Wa h re Spiegel ist … also, das weiß ich nicht. Vor fünf Minuten hat es mich schließlich noch nicht gegeben und mit dem Spiegel habe ich erst kurz davor Bekanntschaft geschlossen. Der Wahre Spiegel … also, das ist ein Spiegel, der das Wesen der Dinge enthüllt. Dergleichen ist höchst selten. In einem Wahren Spiegel sieht sich ein Mensch so, wie er wirklich ist, während die Dinge darin so aussehen, wie sie sein sollten. Aus diesem Grund zerstört man die Wahren Spiegel nur allzu oft«, beendete der Kater seine Ausführungen mit einer unvermuteten We n dung. »Und damit habe ich alles gesagt, was ich weiß.«
    Behände sprang er von der Decke hinunter und landete weich auf dem Boden. Anschließend rannte er zum Fenster und machte einen langen Hals. »Jetzt ist die Sonne ganz weg«, meinte er traurig. »Ich habe es ja geahnt.«
    Das orangefarbene Fell des Katers leuchtete mit einem weichen, dunkelroten Ton. Und obwohl es gar nicht viel Licht spendete, ließ sich plötzlich alles besser als sonst erkennen. Unter der Heizung e r spähte ich eine Münze, die wer weiß wann dahin gekullert war, auf dem Teppich zeichnete sich klar und deutlich ein Fleck ab, der von dem Tee stammte, den ich vor ewigen Zeiten verschüttet hatte. Damit kapierte ich aber auch endgültig: All das geschah wirklich. Ich hockte tatsächlich in meinem Bett und unterhielt mich mit einem Sonnenk a ter, der aus dem Wahren Licht entstanden war, das ein Wahrer Spiegel zurückgeworfen hatte.
    »Bist du ein Zauberer?«, erkundigte ich mich leise, denn ich schä m te mich wegen dieser Frage.
    »Ich glaube nicht an Märchen, dafür bin ich schon zu groß«, äffte mich der Kater nach, dem meine Verlegenheit nicht entgangen war. »Ja! Ich bin ein Zauberer. Solltest du jedoch darauf bestehen, bete ich dir aber auch gerne etwas über Photonen, Protonen und Magnetfelder herunter. Schreib dir allerdings eins hinter die Ohren: Daran glaube ich nicht.«
    Sein spöttischer Ton ärgerte mich ein bisschen.
    »Was kannst du denn überhaupt?«, fragte ich. »Vielleicht miauen?«
    »Natürlich!«, sagte er empört. Er sprang er in die Luft, blieb dort hängen und gab ein kurzes Miauen von sich. »Na, überzeugt? Und soll ich dir auch noch beweisen, dass ich Mäuse fangen kann?«
    »Nicht nötig«, antwortete ich. »Aber wenn du ein Zauberer bist, dann vollbring doch mal ein Wunder!«
    »Ich selbst bin das Wunder.« Theatralisch drehte der Kater mir den Rücken zu.
    Ich schob die Decke beiseite, setzte mich auf die Bettkante und ließ die Füße baumeln. Ich wollte den Kater streicheln und spielte sogar mit dem Gedanken, mich bei ihm zu entschuldigen, damit er nicht mehr sauer auf mich war und nicht weglief. Doch da musste ich zie m lich heftig husten.
    »Bist du krank?«, fragte der Kater, ohne sich umzudrehen.
    »Mhm.«
    »Leg dich hin.«
    Der Kater kam zu mir geflogen und stoppte direkt neben meinem Hals, und zwar so überraschend, dass ich einen Schreck bekam.
    »Leg dich hin, hab ich gesagt!«, wiederholte der Kater mit strenger Stimme. »Keine Angst, ich beiße nicht, erkältete kleine Bengel schmecken mir nämlich nicht.«
    Wie er sich an mir festhielt, blieb mir ein Rätsel. Die Krallen, falls er überhaupt welche hatte,
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