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Der Herr der Finsternis

Der Herr der Finsternis

Titel: Der Herr der Finsternis
Autoren: Sergej Lukianenko
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fuhr er jedenfalls nicht aus. Ob er in der Luft über mir schwebte? Kaum hatte ich mich gehorsam hingelegt, kauerte er sich neben mich und bettete den Kopf auf mein Kinn.
    »Wozu soll das gut sein?«, fragte ich zaghaft.
    »Ich kuriere dich. Ist es warm?«
    »Ja.«
    »Dann lieg still. Wenn es heiß wird, sag Bescheid.«
    Es wurde jedoch nicht heiß, sondern nur warm. Das sagte ich dem Kater auch. Der blieb eine Minute liegen, dann sprang er runter auf den Boden. »Das genügt«, verkündete er.
    »Willst du mir etwa weismachen, ich sei wieder gesund?«
    Er nickte. Ein nickender Kater sieht absolut komisch aus, doch da sein Fell feuerrot leuchtete, verkniff ich mir mein Lachen lieber.
    »Ich merke aber gar nichts! Bloß mein Hals kratzt nicht mehr … «
    »Und was gedachtest du zu merken?«, schnauzte der Kater. »Schließlich hattest du nur eine schnöde Erkältung! Ein kräftiger Ju n ge, aber beim ersten Husten, schwupps, verschwindet er im Bett!«
    Ich wollte ihm schon antworten, dass mich meine Mutter ins Bett gesteckt hatte, überlegte es mir dann aber anders. Schließlich war meine Mutter längst zur Arbeit gegangen. Was sie wohl zu einem sprechenden und leuchtenden Kater sagen würde? Ob sie Angst vor ihm hätte?
    »Also, was kannst du?«, fragte ich.
    »Das weiß ich nicht«, sagte er. »Schließlich bin ich ja noch klein.«
    »Wirst du noch größer?«
    »Wohl kaum«, antwortete der Kater und wurde prompt traurig. »Das Wahre Licht ist eine Seltenheit. Um groß zu werden, bräuchte ich j e doch genau dieses Licht. Oh! Weißt du, was ich kann? Ich kann verl o ren gegangene Sachen wiederfinden! Knöpfe und Münzen zum Be i spiel! In mir selbst steckt nämlich Wahres Licht – und vor dem kann sich nichts und niemand verstecken!«
    »Klasse«, brachte ich ohne allzu große Begeisterung hervor. Dann konnte ich mich nicht mehr beherrschen, streckte die Hand aus – und streichelte den Kater. Heiß war er nicht, aber ein bisschen wärmer als ein richtiger Kater. Früher hatte ich mal einen Kater gehabt, doch e i nes Tages hatte meine Mutter verlangt, dass ich ihn weggebe. Aus heiterem Himmel hatte sie nämlich eine Katzenallergie gekriegt.
    Der kleine Kater hier tat so, als bemerke er gar nicht, wie ich ihn streichelte. Trotzdem hatte ich in den Eindruck, dass es ihm gefiel.
    »Außerdem kann ich noch … «, stotterte der Kater, » … ich kann … also, ich kann Türen finden.«
    Ich brach in schallendes Gelächter aus. »Eine Tür finde ich gerade noch allein! Wenn allerdings meine Haare leuchten wü r den, könnte ich es auch in der Dunkelheit schaffen.«
    »Dummkopf!« Der Kater warf mir einen überlegenen Blick zu. »Ich meine selbstverständlich keine normalen Türen. Ich meine die Ve r borgenen!«
    In dem Moment hatte ich natürlich nicht den geringsten Schimmer, von was für Türen er sprach. Trotzdem zitterte ich ein bisschen, als ginge eine Welle eisiger Luft durchs Zimmer.
    »Und was soll das sein, eine Verborgene Tür?«, fragte ich, wobei ich unwillkürlich flüsterte.
    »Eine Verborgene Tür führt von einer Welt in eine andere«, antwo r tete der Kater ebenfalls mit gesenkter Stimme. »Die Menschen sehen sie normalerweise nicht.«
    Eine Tür, die von einer Welt in eine andere führt? Wer ’ s glaubt, wird selig!
    »Und wo verstecken sich diese Türen?«, fragte ich.
    »Die können überall sein«, erklärte der Kater. »Würde mich nicht wundern, wenn es in deinem Zimmer auch welche gäbe. Aber das haben wir gleich.«
    Zielstrebig stolzierte er zur Wand rüber.
    Und noch während er sich ihr näherte, geschah etwas höchst Mer k würdiges. Plötzlich sah ich nämlich ganz klar die drei Schichten Tap e ten, die in meinem Zimmer übereinandergeklebt waren. Konnte ich mich an die mittlere Schicht noch erinnern – die hatten wir ausg e sucht, als wir aus der alten Wohnung hierhergezogen waren –, musste die untere von den Vormietern stammen. Darunter klebten noch Ze i tungen, die ich nicht mal mehr dem Namen nach kannte. Als Letztes kam die Ziegelmauer.
    Der Kater lief an der Wand lang und mit einem Mal bemerkte ich zwischen den Ziegelsteinen eine grobe Holztür!
    »Da ist eine!«, schrie ich, aber der Kater blieb nicht stehen. »Kannst du sie aufmachen?«
    »Das könnte dir so passen!«, schnaubte er. »Hinter einer solchen Tür wartet kein Vergnügen.«
    Die nächste Tür fand der Kater in einer Ecke. Sie war aus Metall, grau, mit einem kleinen Rädchen statt einer Klinke, genau wie bei einem
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