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Der Hausflug

Titel: Der Hausflug
Autoren: Gert Prokop
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zusammenstieß oder etwas herunterfiel. Da legte sich von hinten eine Hand schwer auf seine Schulter.
    „Halt, Bürschchen, wohin?“



 
    Jonas fuhr der Schreck in die Glieder, er zog den Kopf ein, drehte sich langsam um. Ein Mann sah ihn mit grimmiger Miene an. Er sah ihn tatsächlich an! War er nicht mehr unsichtbar?
    Vielleicht war er es nie gewesen. Der Mann auf dem Balkon hatte ihn nicht gesehen, aber da stand er ja noch mit den Füßen im Haus. Das Auto auf dem Parkplatz, das ihn beinahe überfahren, die Frau im Eingang, die ihn angerempelt, der Verkäufer, der durch ihn hindurchgesehen hatte…, alles das konnte geschehen sein, weil niemand hier einen zwölfjährigen Jungen ernst nahm.
    „Eh, Bürschchen, ich warte auf eine Erklärung.“
    „Wie – wieso?“ stotterte Jonas.
    „Weil ich der Warenhausdetektiv bin.“ Der Mann hielt ihm einen Ausweis hin. Jonas war derart erschrocken, daß er gar nicht richtig hingucken konnte. Seine Gedanken überschlugen sich. Der Detektiv würde ihn verhaften und der Polizei übergeben, die würde Vater herbeizitieren… Ein Königreich für eine Idee, die alles erklären, die ihn retten konnte!
    „Die Kinder werden immer dreister“, sagte eine Frau, die stehengeblieben war und neugierig den Vorfall beobachtete. „Früher steckten sie sich heimlich ein paar Bonbons in die Tasche, jetzt klauen sie schon ganze Wagen voll.“ Jonas streckte die Zunge heraus.
    „Und frech werden sie auch noch“, schimpfte die Frau, „statt sich zu schämen, wenn man sie beim Diebstahl erwischt.“
    „Ich bin kein Dieb“, sagte Jonas wütend. Dann kam ihm die rettende Idee. Er machte sein unschuldigstes Gesicht und blickte den Detektiv mit großen Augen an.
    „Glauben Sie im Ernst, daß ich mit dem vollen Wagen unbemerkt hier hinaus wollte? Direkt an all den Leuten vorbei? So dumm ist doch nicht einmal ein Knirps aus dem Kindergarten. Ich hätte mir ja einbilden müssen, ich sei unsichtbar.“ Am besten, das wußte er längst, schwindelt man immer noch mit der Wahrheit, man muß sie nur so aussprechen, daß niemand sie glauben will.
    „Und was wolltest du dann hier?“ fragte der Detektiv.
    „Einen zweiten Wagen holen. Sie sehen doch, dieser ist bereits voll.“
    „Hm!“ Der Detektiv rieb sich das Kinn. „Stimmt, dumm siehst du nicht aus.“ Sein Griff lockerte sich.
    „Hast du überhaupt genug Geld, um das alles zu bezahlen?“
    „Hab ich.“ Ein Glück, daß er das Portemonnaie eingesteckt hatte! Jonas öffnete es, hielt es dem Detektiv unter die Nase, der nickte, ließ ihn los.
    „Aber so geht es nicht“, sagte der Detektiv. „Du kannst unmöglich mit zwei Wagen herumfahren. Bring erst einmal diese Einkäufe hinaus.“
    Jonas nickte schnell.
    „Geh. Und dann kommst du noch einmal, ja?“
    „Mach ich“, sagte Jonas treuherzig.
    Er fuhr nicht gleich zur Kasse. Sobald er sah, daß der Detektiv ihn nicht mehr beobachtete, stellte Jonas den größten Teil der Waren zurück, auch alle Getränke – in der vierten Etage hatte er Kanister gesehen. Wasser würde es ebensogut tun. Er kaufte einen Zehnliterkanister, dann ging er zur Sportabteilung und fragte nach einem Fallschirm.
    „Die Spielzeugabteilung ist im zweiten Stock“, antwortete der Verkäufer.
    „Ich suche einen richtigen Fallschirm“, sagte Jonas.
    „Für dich?“ Der Verkäufer grinste spöttisch. „Willst wohl fliegen lernen?“
    „Was ist daran komisch?“ erwiderte Jonas. „Haben Sie nun Fallschirme oder nicht? Am Eingang unten steht ein Reklameschild: ,Hier finden Sie alles, was Sie suchen.’ Ich suche einen Fallschirm.“
    „Ich glaube nicht, daß es in Landsburg irgendwo Fallschirme zu kaufen gibt.“
    „Wo dann?“
    „Ja, wo? Das ist eine interessante Frage.“ Der Verkäufer legte ein dickes Buch auf den Tisch und blätterte. „Tut mir leid“, sagte er schließlich, „Fallschirme gibt es nur ab Werk, und das…“
    „Steht da auch, wie teuer ein Fallschirm ist?“ unterbrach ihn Jonas.
    „Nein, aber ein paar hundert Mark wird er schon kosten.“
    Jonas zog niedergeschlagen ab. Nach einem automatischen Schlauchboot erkundigte er sich gar nicht erst. Seine Stimmung sank unter den Nullpunkt, als er um die Ecke des Kaufhauses bog.
    Villa war nicht mehr da.
    Nein, das Haus war wirklich unsichtbar! Jonas ging über den Parkplatz zu der eingezäunten Wiese. Sobald er durch den Zaun gekrochen war, rief er.
    „Villa, wo bist du? Ich kann dich ja nicht sehen.“
    „Hier“, antwortete Villa.
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