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Der Hausflug

Titel: Der Hausflug
Autoren: Gert Prokop
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entsetzliche Bilder!
    Da kam ein Ausfahrtsschild: Landsburg 1000 m. Sie waren also noch gar nicht weit von zu Hause entfernt. In Landsburg war Jonas schon ein paarmal mit Vater gewesen. Er lotste Villa von der Autobahn herunter und die Straße entlang zur Stadt hinein; an der Nicolai-Kirche, das wußte Jonas, gab es ein großes Kaufhaus, und auf dem Alten Markt konnten sie landen.
    Sie flogen nicht über den Häusern, sondern die Straßen entlang, so, wie Jonas sonst mit Vater im Auto nach Landsburg gefahren war, nur zwei Etagen höher. Jonas hatte einen Stuhl verkehrtherum ans Fenster geschoben, umklammerte mit beiden Händen die Stuhllehne, als sei sie die Lenkung seines Flugzeuges, das auf jedes Kommando augenblicklich reagierte: links um die Ecke, nächste Straße rechts hinein…
    Solange sie die mehrspurige Ausfallstraße entlangglitten, war es das reine Vergnügen; in den engeren, verwinkelten, kurvenreichen Straßen der Altstadt jedoch mußte Jonas höllisch aufpassen; er hatte Angst, daß sie unversehens gegen ein Haus prallen könnten. Fast wäre es tatsächlich passiert. Jonas erblickte hinter einem Fenster zwei dickbäuchige, glatzköpfige Männer, die sich mit hochroten Köpfen und wütenden Mienen gegenseitig an den Bärten gepackt hatten, mochte der Teufel wissen, warum, aber es sah derart komisch aus, daß Jonas sich umdrehte und erst in letzter Sekunde die dicht vor ihnen aufragende Wand bemerkte.
    „Vorsicht!“ schrie er. „Rechts abbiegen, rechts!“
    „Keine Angst“, beruhigte ihn Villas Stimme, „ich wäre schon nicht gegen die Wand gestoßen. Achte du nur auf die Richtung, um unsere Sicherheit kümmere ich mich schon.“
    Jonas stieß erleichtert die Luft aus. Wie schnell sein Herz schlug. Sein Mund war ganz trocken von der Aufregung. Und die Hände feucht – das war ein Millionen Jahre altes Erbstück, hatte Vater ihm erklärt, aus der Zeit, da ihre Vorfahren noch auf Bäumen lebten und die Handflächen in Augenblicken der Angst feucht wurden, damit die Menschenaffen besser von Ast zu Ast springen konnten.
    Er wischte die Handflächen an den Hosen trocken, nahm einen Schluck Cola und legte die Arme entspannt auf die Stuhllehne. Dann erblickte er durch die weit offenen Balkontüren im zweiten Stock eines Hauses eine Szene, die ihm den Atem stocken ließ.
    Ein Mann hatte ein Kind, einen vielleicht vierjährigen Jungen, mit heruntergezogener Hose über sein Knie gelegt und griff gerade nach einem Rohrstock.
    „Stopp, Villa, stopp! Zwei Häuser zurück. Noch ein Stückchen…“
    Jonas dirigierte das Haus vor den Balkon, doch als er das Fenster öffnen wollte, ging es nicht auf.
    „Villa, ich möchte mal das Fenster aufmachen“, sagte er.
    „Warum?“ erkundigte sich Villa.
    „Das wirst du gleich sehen. Schnell!“
    „Muß das sein?“
    „Ja, unbedingt. Mach schon!“
    „Gut. Aber nur für einen Augenblick.“
    Jonas riß das Fenster auf. Der Mann hielt den Stock hoch, gleich würde er auf den nackten Hintern des Jungen heruntersausen.
    „Eh!“ schrie Jonas in das Zimmer. „Man schlägt keine Kinder.“
    Die Hand mit dem Rohrstock blieb wie versteinert in der Luft stehen, der Mann blickte auf, blickte sich um, noch einmal, schüttelte den Kopf, als er niemanden sehen konnte, sah den Jungen mißtrauisch an.
    „Wer kleine Kinder schlägt, ist ein Verbrecher und wird der gerechten Strafe nicht entgehen“, rief Jonas. Er ließ seine Stimme so tief und drohend wie möglich klingen.
    Der Mann ließ den Jungen los, trat auf den Balkon, um zu sehen, ob die Stimme von hier kam, beugte sich über die Brüstung. Da riß Jonas ihm den Stock aus der Hand und ließ ihn auf den Rücken des Mannes niedersausen. Der schrie laut auf und sprang mit einem mächtigen Satz ins Zimmer zurück, die Arme schützend vor dem Kopf. Da nichts geschah, ließ er verwirrt die Arme sinken, ging vorsichtig wieder ans Fenster, auf den Balkon und sah auf die Straße hinunter. Jonas packte und ohrfeigte ihn. Links, rechts, links, rechts.
    „Vergiß das nie“, sagte er, „du sollst keine Kinder schlagen!“
    Der Mann starrte mit weitaufgerissenem Mund und entsetzten Augen in die Luft, schlug verzweifelt mit den Armen um sich, Jonas machte schnell das Fenster zu, ließ sich auf seinen Stuhl fallen und lachte laut.
    „Das mußte sein, oder?“ sagte er zufrieden. „Das verstehst du doch, Villa?“
    „Nein, ich habe es nicht verstanden“, erwiderte Villa, „aber wenn du es sagst – können wir jetzt
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