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Der Händler der verfluchten Bücher (German Edition)

Der Händler der verfluchten Bücher (German Edition)

Titel: Der Händler der verfluchten Bücher (German Edition)
Autoren: Marcello Simoni
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Haraquiel, Bitael, Šams, Rūbīyāel, Rūfīyāel, Išbāl.
    Das waren die Namen der Gottheiten der Sabäer, die in allem denen den Erzengel aus der Bibel und den Amesha spenta der persischen Mager entsprachen. Ignazio war vollends überzeugt, dass es sich beim »Uter Ventorum« keineswegs nur um ein Buch handelte, mit dem man die Engel beschwören konnte, sondern um das letzte Zeugnis eines Kults, der die jüdischen und christlichen Engel mit den himmlischen Wesen der antiken Völker des Orients verband. Da erfasste ihn plötzlich Furcht, nicht vor dem himmlischen Wesen, das er heraufbeschwören wollte, sondern vor dem, was ihm bevorstand, sollte dieses Buch in die Hände der Kirche fallen.
    Doch seine Wissbegier war stärker, er konnte seine Kette logischer Schlussfolgerungen jetzt nicht unterbrechen. Ignazio fragte sich, welchen der sieben Namen aus der Schriftrolle er beschwören sollte. Jeder entsprach einem Engel, der der Sphäre eines Planeten angehörte und dessen Bewegung und magische Einflüsse regelte. Und das nach der Reihenfolge, an die sich Ignazio genau erinnerte:
    Mond = Syliāel
    Merkur = Haraquiel
    Venus = Bitael
    Sonne = Šams
    Mars = Rūbīyāel
    Jupiter = Rūfīyāel
    Saturn = Išbāl
    Noch einmal führte ihn das magische Quadrat auf den richtigen Weg. Er suchte den Namen, der der Zahl Fünf entsprach, und sah, dass er zu Šams, der Engelsgöttin, gehörte, die den leuchtendsten Stern von allen bewegte. Für Šams errichteten die Sabäer Tempel auf einem quadratischen Grundriss. Das also war das Wesen, das man anrufen musste. Ignazio entnahm der Schriftrolle den Zauberspruch, der in winzigen, jedoch lesbaren arabischen Zeichen bei ihrem Namen stand.
    Er ging zum Feuer und überprüfte das Kochgefäß. Aus seinem Inneren stieg ein aromatischer Duft auf. Beim Kochen hatten die Kräuter ihre magischen Kräfte an das Wasser abgegeben: Das Haoma war bereit. Ignazio nahm das Gefäß vom Feuer, und während er darauf wartete, dass die Flüssigkeit sich abkühlte, zeichnete er einen Schutzkreis um sich.
    Während er den ersten Schluck des Zaubertranks nahm, ließ er den Wolfspelz von den Schultern gleiten, der ihn vor der Kälte geschützt hatte. Dann wandte er sich nach Osten und steckte sich einen goldenen Ring auf den rechten Zeigefinger, wie es jeder tun sollte, der Šams beschwören wollte.
    Ohne den Kreis zu verlassen, stellte er sich vor die Zeichnung im Schnee, breitete die Arme aus und sprach die Beschwörung:
     
    Gegrüßt seist du, Šams, glückselige Königin der Lichtaltäre, die du in dir alle Schönheit vereinst,
    die du über sechs Planeten herrschst und sie dir folgen
    wie einem Führer
    und sich von dir befehlen lassen …
    Seine Worte verklangen in der Nachtluft und flatterten wie Falter ums Feuer. Und während das Haoma zu wirken begann, hallten sie sanft wie ein Lied in seinen Ohren wider und erweckten tief in ihm verborgene Gefühle zum Leben. Die Sätze zerfielen in einzelne Silben und änderten schlagartig ihre Bedeutung.
    Ignazio nahm einen zweiten Schluck des Tranks, und seine Sinne schärften sich. Er nahm das Licht der jenseits der Berge aufgehenden Sonne wahr, ehe es wirklich zu sehen war. Der Mond wurde zu einer Art elfenbeinfarbener Höhlung, die der Erde zugewandt war und in deren Krümmungen die Dunkelheit verschluckt wurde.
    Verwirrung überkam ihn, und er wusste nicht, ob er halluzinierte oder wahnsinnig wurde. Sein Verstand trübte sich, das karge Gebirge verwandelte sich in grüne Hügel, durch die sich ein silbrig glänzender Fluss schlängelte. Ignazio dachte zunächst, er sähe sich der Xvarnah gegenüber, dem höchsten von den persischen Magern ersehnten Ort, der Sphäre des Geistes und des Göttlichen. Der mundus imaginalis . Er blickte auf jene sanften Gebirgskämme und ahnte, dass sich dort, unter dem bernsteinfarbenen Himmel, das irdische Paradies und die Schatzhöhle befinden mussten, in der zunächst Adam und Eva und dann die persischen Mager begraben wurden.
    Als er den dritten Schluck des Trankes nahm, erfasste ihn ein plötzlicher Krampf, sodass er auf die Knie fiel. Die Berührung mit dem Schnee war ihm nicht unangenehm, doch seine Glieder begannen zu zittern wie Zweige im Wind.
    Asclepios da Malabata hatte recht! Deshalb hatte Zarathustra den Genuss des Haoma verboten! Es war giftig!
    Ignazio starrte auf die ersten Sonnenstrahlen, die die Bergkämme rötlich färbten, und machte sich auf den Tod gefasst. Die Kräfte verließen ihn. Ihm war der
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