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Der große Stier

Der große Stier

Titel: Der große Stier
Autoren: Robin Sanborn
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Cook, Sie schreiben ja nicht.«
    »An wen ist dieser Brief?«
    »Gott. Großes G, kleines o, zwei kleine t.«
    »Ist das alles, wofür Sie mich hereingerufen ha ben?« Zur Strafe stellte sie die Beine nebeneinander und zog ihren Rocksaum über die Knie herunter.
    »Wäre es Ihnen lieber, wenn ich Ihnen meine Gedanken zu dem vietnamesischen Schitt-Problem diktierte?«
    »Hat Ned Collier Sie am Ende zu einem Martini überredet?«
    »Woher wissen Sie denn, daß ich mit Collier zusammen war?«
    »Ich habe Siebei Benny’s gesehn. Mr. Foss hat mich mit zum Mittagessen genommen.«
    »Gratuliere!«
    »Es war dienstlich. Ich mußte eine Liste für die Par ty aufstellen.«
    »Welche Party denn?«
    »Von der Rundfunkstation. KFRT. Am Freitag nachmittag. Ich kann Ihnen nur raten, mitzumachen. Die hohen Tiere werden alle da sein. Und Ned Collier geht auch hin.«
    »Warum erwähnen Sie Collier?«
    »Sie möchten seinen Job haben.«
    An Pauls Telefon leuchtete das blaue Lämpchen auf. Er nahm den Hörer zur Hand.
    »Hier Odeon.«
    »Odeon, hier ist Gerner. In mein Büro. In fünf Minuten.«
    Paul legte den Hörer auf und riß die mittlere Schreibtischschublade auf. »Das war Gerner«, sagte er und fischte eine große runde Plakette heraus, auf der geschrieben stand: »Keine schwachen Avancen, sondern starke Annoncen.«
    »Nein«, sagte Miss Cook, »das war im vorigen Monat.«
    Er zog eine zweite Plakette heraus – »Es geschieht nichts, solange nichts verkauft wird.« Nach einem zustimmenden Nicken von Miss Cook befestigte er es an seinem Rockaufschlag und eilte zur Tür hinaus.
    »Werfen Sie diesen Brief an Gott weg«, rief er ihr über die Schulter zu, »ich werde den Leiter persönlich besuchen.«
    Der Abstand von der Texterabteilung bis zum Büro von Scofield (»Scuffy«) Gerner betrug schätzungswei se vierzig Jahre. Er begann im Empfangsraum mit seinem Teppich, in den ein Muster von Eibischblättern eingewebt war, und setzte sich durch die Büros von Foss und Meyer hindurch fort, mit ihrer glänzenden Täfelung, deren bernstein-, indigo- und kobaltfarbenes Licht den Weg mild beschien. Büschel von Grün und Pflanzen erfüllten die konditionierte Luft mit dem Aroma frisch geschnittenen Grases.
    Aber gerade dann, wenn alles gar zu schön zu werden drohte, sah man das zerbeulte Linoleum unter dem Teppich, roch die Luft bitter nach feuchten Zigarren, und die kahlen Wände reflektierten das grausam weiße Licht der einzigen nackten Birne, die unanständig aus der Fassung über Gerners Bürotür herausragte.
    Die Tür stand offen, Paul klopfte leicht an die Wand.
    »Herein, verdammt noch mal!« Gerner sprach diese Worte aus, ohne den Kopf vom Okular des Mikroskops auf seinem Schreibtisch zu erheben. Er zeigte jedoch auf Den Stuhl.
    Paul nahm alle Kraft zusammen, ging steif auf Den Stuhl zu und setzte sich darauf.
    Auf dem Stuhl saß nie jemand, ja es brachte nie jemand fertig, länger als ein paar qualvolle Minuten damit in Verbindung zu bleiben; haargenau das war die Absicht von Scuffy Gerner, der bei G., F. & M. den ersten Namen und das letzte Wort hatte. Es war sein stolzester Beitrag zu einer Welt der rauhen Wirklichkeit, in der er lebte. Der Sitz war versteinerter Ahorn, durch tausend sich windende Hinterteile bis zu diamantener Vollkommenheit poliert. Schmale, hölzerne Latten waren an Lenden-Rückgraten abgewetzt, die Armlehnen bogen sich zur Gestalt eines umgekehrten Schuhanziehers, die beiden vorderen Stuhlbeine waren um zwei Zoll gekürzt. Ein muskulöser Sitzender konn te die Schwerkraft vielleicht vier Minuten lang bekämpfen, ehe er vom Stuhl glitt und sich auf seine Füße stellte.
    »Der gottverdammte Riß«, sagte Gerner und schielte weiter durch das Okular. Vierteldollar-, Zehnteldollar-, Fünfcentstücke, aufgetürmte polierte Pennies waren auf seinem Schreibtisch verstreut; in einem kleinen kupfernen Aschenbecher schwelte noch eine zerdrück te Zigarre. Gerner lehnte sich vom Mikroskop zurück, stieß seinen grünen Zelluloidschirm auf der Stirn höher und setzte sich die Brille auf, die seine Augen so groß wie Mokkatassen erscheinen ließ.
    »Ein Riß, Mr. Gerner?«
    »Sie erkennen doch, wenn etwas nicht richtig klingt, Mr. Odeon?«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Sehn Sie sich’s an, verdammt noch mal, sehn Sie sich’s an! Hier …«
    Gerner hängte ein schmutziges Vierteldollarstück aus dem Mikroskopschieber aus und schnellte es zu Paul hinüber. »Jetzt lassen Sie’s mal fallen, da auf die
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