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Der große Schlaf

Der große Schlaf

Titel: Der große Schlaf
Autoren: Raymond Chandler
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Er spazierte in Richtung Westen und schwang dabei sein Stöckchen in kleinem, engem Bogen über seinem rechten Schuh. Es war leicht, ihm zu folgen. Seine Jacke war aus einer ziemlich grellen Pferdedecke geschneidert und hatte so breite Schultern, daß sein Hals wie ein Selleriestrunk herausragte und sein Kopf beim Laufen darauf hin und her wackelte. Wir liefen anderthalb Blocks. Am Rotlicht auf der Highland Avenue holte ich ihn ein und stellte mich so neben ihn, daß er mich sehen mußte. Er beäugte mich gleichgültig, dann plötzlich schärfer von der Seite und wandte sich rasch ab. Wir gingen bei Grün über die Highland und schafften einen weiteren Block. Er nahm seine langen Beine in die Hand und hatte mich an der Ecke zwanzig Meter abgehängt. Er bog rechts ab. Dreißig Schritt weiter oben blieb er stehen und hängte seinen Stock über den Arm und fummelte sich ein ledernes Zigarettenetui aus einer Innentasche. Er steckte sich eine Zigarette in den Mund, ließ sein Streichholz fallen, bückte sich, blickte zurück, sah mich an der Ecke lauern und fuhr in die Höhe, als ob ihn einer in den Hintern getreten hätte. Er ließ fast eine Staubwolke hinter sich, als er mit seinen langen Tolpatschbeinen und stakendem Spazierstock den Block hinaufging. Er bog wieder nach links. Er war mir mindestens einen halben Block voraus, als ich da ankam, wo er abgebogen war. Er hatte mich verschaukelt. Vor mir war eine enge, von Bäumen gesäumte Straße mit einer Mauer auf der einen Seite und drei Bungalowgärten auf der anderen.
    Er war weg. Ich strolchte um den Block herum und linste durch die Gegend. Auf dem zweiten Bungalow-Gelände sah ich etwas.
    Das Grundstück nannte sich La Baba – ein ruhiges, dämmriges Fleckchen mit einer Doppelreihe Bungalows unter schattigen Bäumen. Der Mittelweg war von kurzgetrimmten, dichten italienischen Zypressen gesäumt, die in ihrer Form irgendwie an die Ölkrüge in ›Ali Baba und die vierzig Räuber‹
    erinnerten. Hinter dem dritten Krug bewegte sich ein grell gemustertes Zipfelchen.
    Ich lehnte mich gegen einen Pfefferbaum in der Allee und wartete. In den Vorbergen rollte wieder der Donner. Ein Wetterleuchten blitzte weit im Süden durch schwarze Wolkenmassen. Ein paar erste Regentropfen spritzten aufs Pflaster herunter und machten pfenniggroße Flecken. Die Luft war reglos wie in General Sternwoods Orchideenhaus.
    Hinter dem Baum kam wieder der Zipfel zum Vorschein, dann eine große Nase und ein Auge und etwas rotblondes Haar ohne Hut drauf. Das Auge starrte mich an. Es verschwand.
    Sein Kumpel erschien wie ein Buntspecht auf der anderen Seite des Baums. Fünf Minuten vergingen. Das schaffte ihn. Er war einer von der nervösen Sorte. Ich hörte ein Streichholz ratschen, dann fing er an zu pfeifen. Ein leichter Schatten huschte übers Gras zum nächsten Baum. Dann war er auf dem Fußweg und kam stöckchenschwingend und pfeifend direkt auf mich zu. Ein harsches Pfeifen mit Tatterich drin. Ich blickte gedankenverloren in den dunklen Himmel. Er ging in drei Schritt Entfernung an mir vorüber und würdigte mich keines Blickes. Er war jetzt in Sicherheit. Er hatte es verbuddelt.
    Ich wartete, bis er außer Sicht war, und ging den Mittelweg der La Baba hinauf und teilte die Zweige der dritten Zypresse.
    Ich zog ein eingewickeltes Buch heraus und steckte es unter den Arm und ging weg. Niemand schrie hinter mir her.

5
    Auf dem Boulevard ging ich in einem Drugstore zur Telefonzelle und schlug Mr. Arthur Gwynn Geigers Adresse nach. Er wohnte in Laverne Terrace, einer Hangstraße beim Laurel Canyon Boulevard. Ich warf mein Geld ein und wählte spaßeshalber seine Nummer. Niemand meldete sich. Ich schlug das Branchenverzeichnis auf und notierte mir ein paar Buchhandlungen in der Gegend hier.
    Die erste, die ich sah, lag auf der Nordseite, ein geräumiges Souterrain-Geschäft mit Papierwaren und Bürobedarf und einer Masse Bücher im Zwischenstock. Das schien mir nicht das Wahre. Ich überquerte die Straße und wanderte zwei Blocks weiter zur nächsten. Die ging schon eher, ein kleiner, enger Laden, vom Boden bis zur Decke mit Büchern vollgestopft und mit vier oder fünf Kunden drin, die in aller Gemütsruhe herumstöberten und fleißig ihre Daumen auf die neuen Umschläge druckten. Keiner störte sie. Ich drängelte mich nach hinten durch den Laden, ging durch eine Trennwand und hielt vor einer kleinen Schwarzhaarigen, die an ihrem Schreibtisch in einem klugen Buch las. Ich klappte ihr meine
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