Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der große Blowjob (German Edition)

Der große Blowjob (German Edition)

Titel: Der große Blowjob (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Mattei
Vom Netzwerk:
ihn. Sah ihn nicht an, hob lediglich kurz den Blick, zum Zeichen, dass ich seinen Gruß zwar gehört hatte, aber nicht beabsichtigte, ihn zu erwidern. «Morgen, Alter!», sagte er noch einmal, umsonst, ich blickte weiter stur geradeaus. Auch ohne ihn anzusehen, merkte ich, dass er kurz erschrocken war, sich aber dann sofort einredete, dass ich ihn eben nicht gehört hatte, obwohl ihm klar war, dass das nicht stimmte. Verdrängung nennt man das wohl. Schließlich kam der Aufzug, und wir stiegen ein und fuhren zusammen runter, schweigend, wie ehemalige Bekannte, die nicht mehr miteinander reden.
    Und damit ging es los.
    Nach diesem Vorfall war Henry im Umgang mit mir, wie nicht anders zu erwarten, etwas angespannt. Bei Meetings war er nun stets als Erster da. Ich tauchte in der Regel fünfzehn bis zwanzig Minuten zu spät auf, egal zu welchem Anlass. Teils, weil in der Werbung die Kreativen immer zu spät kamen, teils, weil ich eben der Chef war und Chefsein unter anderem bedeutet, dass die anderen auf einen warten müssen. Eines Nachmittags, als Henry sich verlegen vor meiner offenen Bürotür herumdrückte, fragte ich ihn, was er wolle.
    «Haben wir jetzt nicht den Termin wegen Swiffer?», erwiderte er. Ohne den Blick vom Bildschirm zu heben, fragte ich: «Arbeitest du an der Sache?»
    «Ja. Du hattest mich doch aufgefordert, etwas für die Kampagne beizusteuern, bis heute Morgen sollte ich ein paar Ideen vorbereiten, also habe ich das Wochenende über daran gearbeitet», quiekte er. Durch das Anheben der Stimme um eine halbe Oktave oder mehr soll ein überlegener Gegner davon abgehalten werden, anzugreifen.
    «Tja, dürfte sich ja wohl kaum lohnen, noch mehr Mist auf diesen speziellen Misthaufen zu kippen», sagte ich mit einem kumpelhaften Lachen.
    «Dann fällt die Besprechung also flach?», murmelte er. Ich sagte nichts, und sagte es, ohne ihn anzuschauen. Ich tat so, als schaute ich auf den Bildschirm, sah ihn aber aus dem Augenwinkel, draußen vor meinem Büro. Er war auf einmal wie erstarrt, und sein Gesichtsausdruck schwankte zwischen Verwirrung und Panik, während er zu Boden sah.
    Ja, wollte ich zu ihm sagen, das passiert wirklich, und das passiert jetzt und hier. Aber das durfte ich nicht, aus rechtlichen Gründen. Und dann, als hätte er meine Gedanken gelesen, zog er wortlos ab.
    Nach dem Vorfall ließ ich einige Wochen verstreichen, zum einen, um ihn eine Zeitlang seiner diffusen Angst zu überlassen, aber auch, um in ihm die falsche Hoffnung zu nähren, dass diese seltsame Atmosphäre vielleicht nun einfach vorbei war. Im Internet hatte ich gelesen, dass man die
toros
bewusst in einer ruhigen, friedlichen Umgebung aufwachsen lässt. Wenn ihnen dann in der Arena die erste
banderilla
in den Nacken gerammt wird, wenn sie zu bluten anfangen und ihnen das Blut in die Augen strömt, und ringsumher schreien und johlen Tausende Zuschauer, nachdem diese Stiere niemals mit mehr als zwei oder drei Menschen in Kontakt gekommen sind, sind sie unfähig, angemessen zu reagieren und für den Torero entsprechend weniger gefährlich. Ich ließ Henry von meiner Assistentin in mein Büro bestellen. Zehn Minuten vor unserer Besprechung verließ ich die Agentur, um spazieren zu gehen. Kann sein, dass ich irgendwo einen Happen essen war, das weiß ich nicht mehr. Als ich drei Stunden später zurückkam, sagte mir meine Assistentin, dass Henry gewartet hat, und ich sagte bloß: «Ja, ich weiß.» Am nächsten Tag bestellte ich Henry wieder in mein Büro, und diesmal ließ ich ihn nicht hängen. Ich schaute ihm in die Augen und eröffnete ihm, dass er nicht länger für den Allstate-Account zuständig sei. Er war wie betäubt. Damit hatte er nicht gerechnet. Mir ging es, offen gesagt, nicht anders, diese Ansage war mir ganz spontan eingefallen. Schließlich fragte er: «Wieso?», und ich erzählte ihm, der Kunde habe den Wunsch nach einem neuen, frischen Kopf geäußert, und dass ich diesen Schritt sogar begrüßte, weil Henry dadurch für andere Aufgaben zur Verfügung stünde.
    «Was für Aufgaben?», fragte er. Das wüsste ich noch nicht, erwiderte ich, ich würde mir die Sache aber durch den Kopf gehen lassen und mich wieder bei ihm melden.
    Ab da musste er wissen, dass er rausfliegen würde. Bis dahin aber waren es noch fast zwei Monate. Ein paar Wochen lang redete ich nicht mit ihm. Ich sah zu, wie er morgens in die Agentur kam, sich in seine Arbeitsnische setzte, im Internet surfte und beschäftigt tat. Hin und wieder

Weitere Kostenlose Bücher