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Der Graf von Monte Christo 2

Der Graf von Monte Christo 2

Titel: Der Graf von Monte Christo 2
Autoren: Alexandre Dumas
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innigster Zärtlichkeit die Hand, auf die sie, wie immer, die Lippen drückte.
    Während er das Zimmer verließ, dachte der Graf an die Verse Pindars: »Die Jugend ist eine Blume, deren Frucht die Liebe ist …
    Glücklich der Winzer, der sie pfl ückt, nachdem er sie hat langsam reifen sehen.«
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    Am Abend eines der wärmsten Tage, den der Frühling bisher gebracht hatte, hielt sich in dem mit schattigen Bäumen bestande-nen Garten eines Hauses des Faubourg Saint-Honoré ein junges Mädchen auf. Sie stand vor einem mit Brettern vernagelten Gitter und blickte durch einen Spalt in den dahinter befi ndlichen Raum, ein brachliegendes Terrain, das der Besitzer schon lange als Bauplatz anbot, für das er aber noch keinen Käufer hatte fi nden können, da die Grundstücke an dieser Straße infolge der Anlage einer andern Straße in der Nachbarschaft entwertet waren.
    Auf einer Steinbank unter den Bäumen lagen ein Buch, ein Son-nenschirm, ein Arbeitskorb und ein Batisttuch mit angefangener Stickerei.
    Ein junger Mann von großer, kräftiger Gestalt, in einer Bluse von ungebleichter Leinwand und mit einer Samtmütze, dessen wohlge-pfl egter Schnurrbart, Bart und schwarzes Haar aber nicht recht zu dieser Kleidung passen wollten, trat durch die Tür der Umzäunung auf den Bauplatz, warf einen Blick umher, um sich zu überzeugen, daß er unbeobachtet sei, schloß dann die Tür hinter sich und ging schnellen Schrittes zu der Stelle des Gitters, wo sich das junge Mädchen befand.
    Das junge Mädchen hatte den Ankömmling erwartet, aber beim Anblick seiner sonderbaren Kleidung bekam sie Furcht und zog sich zurück.
    Der junge Mann hatte aber schon das weiße Kleid und das lange blaue Gürtelband des Mädchens durch die Spalten in den Planken wahrgenommen. Er eilte an das Gitter, legte den Mund an eine Öff nung und sagte: »Haben Sie keine Furcht, Valentine, ich bin’s.«
    Das junge Mädchen trat wieder näher.
    »Oh«, sagte sie, »warum sind Sie denn heute so spät gekommen?
    Wissen Sie, daß wir bald essen und daß es mich viel Diplomatie gekostet hat, mich von meiner Stiefmutter, die mich beobachtet, meiner Kammerjungfer, die mich bewacht, und meinem Bruder, der mich quält, loszumachen und hierherzukommen, um an der Stickerei zu arbeiten, an der ich wohl noch oft zu arbeiten haben werde? Wenn Sie sich wegen Ihrer Verspätung entschuldigt haben, müssen Sie mir dann auch sagen, was für ein Kostüm Sie da gewählt haben, in dem ich Sie nicht erkannt habe.«
    »Liebe Valentine«, antwortete der junge Mann, »Sie stehen zu hoch über mir, als daß ich Ihnen von meiner Liebe zu sprechen wagte, und dennoch muß ich Ihnen jedesmal, wenn ich Sie sehe, sagen, daß ich Sie anbete, damit das Echo meiner eigenen Worte mir im Herzen klingt, wenn ich Sie nicht mehr sehe. Jetzt danke ich Ihnen für Ihr Schmollen; es ist reizend, denn es beweist mir, daß Sie, ich wage nicht zu sagen, mich erwarteten, aber an mich dachten. Sie wollten den Grund meiner Verspätung und meiner Verkleidung wissen; ich werde es Ihnen sagen und hoff e, daß Sie mich dann entschuldigen werden: Ich habe einen Beruf gewählt.«
    »Einen Beruf …! Was wollen Sie damit sagen, Maximilian? Sind wir denn so glücklich, daß Sie über das, was uns betriff t, scherzen können?«
    »Oh, Gott bewahre mich, mit dem Scherz zu treiben, was mein Leben ist!« antwortete der junge Mann. »Da ich es aber müde bin, mich in den Feldern umherzutreiben und Mauern zu übersteigen, und da mich der Gedanke erschreckt, auf den Sie mich neulich abends gebracht haben, daß Ihr Vater mich eines schönen Tages als Dieb aburteilen lassen könnte, was die Ehre der ganzen franzö-
    sischen Armee kompromittieren würde, da ich schließlich Sorgen habe, daß man sich wundert, um dieses Terrain, wo es nicht die kleinste Zitadelle oder das kleinste Blockhaus zu verteidigen gibt, ewig einen Hauptmann der Spahis herumschleichen zu sehen, bin ich Gemüsegärtner geworden und habe die Kleider meines Gewerbes angelegt.«
    »Welche Torheit!«
    »Es ist im Gegenteil das Klügste, glaube ich, was ich je getan habe, denn es gibt uns vollständige Sicherheit.«
    »Ich verstehe das Ganze gar nicht, erklären Sie es mir.«
    »Nun gut, ich habe den Besitzer dieses Feldes aufgesucht; der Pachtkontrakt mit dem alten Pächter war abgelaufen, und ich habe es von neuem gepachtet. Die ganze Luzerne, die Sie hier sehen, gehört mir, Valentine; nichts hindert mich, mir in
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