Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Goldene Kompass

Der Goldene Kompass

Titel: Der Goldene Kompass
Autoren: Philip Pullman
Vom Netzwerk:
zusammen und bewegte den Arm vorsichtig, bis die Schmerzen etwas nachließen.
    Plötzlich klirrte Glas, und sie hörte das Gluckern auslaufender Flüssigkeit.
    »Verdammt, Shuter, Sie alter Schussel! Sehen Sie, was Sie angestellt haben!«
    Lyra preßte das Auge an den Türspalt. Ihr Onkel hatte die Tokaierkaraffe vom Tisch gestoßen und tat jetzt so, als habe der Portier sie gestreift. Der Alte setzte die Kiste sorgfältig ab und wollte sich entschuldigen.
    »Es tut mir aufrichtig leid, Mylord — ich muß dem Tisch näher gekommen sein, als ich dachte…«
    »Holen Sie etwas zum Aufwischen. Schnell, ehe der Wein in den Teppich sickert.«
    Der Portier eilte hinaus. Lord Asriel trat zum Schrank und sagte mit gedämpfter Stimme: »Wenn du schon da drin bist, kannst du dich auch nützlich machen. Beobachte den Rektor genau, wenn er hereinkommt. Wenn du mir hinterher etwas Interessantes über ihn sagen kannst, sorge ich dafür, daß du nicht noch tiefer in den Schlamassel gerätst, in dem du steckst. Verstanden?«
    »Jawohl, Onkel Asriel.«
    »Sobald du ein einziges Geräusch machst, helfe ich dir nicht mehr. Du hast die Wahl.«
    Er entfernte sich wieder und stand mit dem Rücken zum Feuer, als der Portier mit Besen und Schaufel für die Scherben, einer Schüssel und einem Wischlappen zurückkehrte.
    »Ich kann nur noch einmal sagen, daß ich Euch aufrichtig um Verzeihung bitte, Mylord. Ich weiß nicht, wie…«
    »Wischen Sie einfach nur auf.«
    Als der Portier begann, den Teppich trockenzureiben, klopfte es wieder. Diesmal waren es der Butler und Lord Asriels Diener, ein Mann namens Thorold. Zwischen sich trugen sie eine schwere Kiste aus poliertem Holz mit Messinggriffen. Als sie den Portier auf dem Boden knien sahen, blieben sie wie angewurzelt stehen.
    »Ja, es war der Tokaier«, sagte Lord Asriel. »Jammerschade. Ist das die Projektionslampe? Baue sie doch bitte neben dem Schrank auf, Thorold. Die Leinwand kommt dann an die gegenüberliegende Wand.«
    Lyra stellte fest, daß sie die Leinwand und alles, was auf ihr abgebildet war, durch den Spalt in der Schranktür sehen konnte, und sie überlegte, ob ihr Onkel die Stellung des Projektors absichtlich so gewählt hatte.
    Während der Diener geräuschvoll die steife Leinwand ausrollte und in den Rahmen spannte, flüsterte sie: »Siehst du? Es hat sich doch gelohnt zu kommen.«
    »Vielleicht«, sagte Pantalaimon mit seiner piepsigen Nachtfalterstimme unnachgiebig. »Und vielleicht auch nicht.«
    Am Feuer stehend, schlürfte Lord Asriel den letzten Kaffee und sah düster zu, wie Thorold den Kasten mit dem Projektor öffnete, den Deckel von der Linse nahm und dann in den Ölbehälter sah.
    »Es ist noch genug da, Mylord«, sagte er. »Soll ich einen Techniker kommen lassen, der das Gerät bedient?«
    »Nein, das mache ich selbst. Danke, Thorold. Wren, ist man mit dem Abendessen schon fertig?«
    »Ich glaube fast, Mylord«, erwiderte der Butler. »Wenn ich Mr. Cawson richtig verstanden habe, werden der Rektor und seine Gäste sich jetzt, da sie wissen, daß Ihr hier seid, beeilen. Soll ich das Kaffeetablett mitnehmen?«
    »Ja.«
    »Sehr wohl, Mylord.«
    Mit einer leichten Verbeugung nahm der Butler das Tablett und ging, gefolgt von Thorold, hinaus. Sobald sich die Tür hinter den beiden geschlossen hatte, sah Lord Asriel zum Schrank. Lyra spürte die Macht seines Blickes beinahe körperlich, wie einen Pfeil oder einen Speer. Dann sah er wieder weg und sprach leise mit seinem Dæmon.
    Lautlos glitt die Leopardin an seine Seite und setzte sich, wachsam, elegant und gefährlich. Sie ließ ihre grünen Augen durch den Raum schweifen, bevor sie sie, wie Lord Asriel seine schwarzen, auf die Tür zum Saal richtete, deren Klinke niedergedrückt wurde. Lyra konnte die Tür nicht sehen, hörte aber ein überraschtes Luftholen, als der erste Ankömmling eintrat. »Rektor«, sagte Lord Asriel, »ja, hier bin ich wieder. Bringen Sie Ihre Gäste herein, ich habe Ihnen etwas sehr Interessantes zu zeigen.«

Der Norden
     
     
    »Lord Asriel«, sagte der Rektor schwerfällig und trat vor, um ihm die Hand zu geben. Aus ihrem Versteck beobachtete Lyra seine Augen, und tatsächlich, für den Bruchteil einer Sekunde zuckten sie zum Tisch, auf dem der Tokaier gestanden hatte.
    »Rektor«, sagte Lord Asriel, »ich kam zu spät und wollte nicht mehr beim Abendessen stören, deshalb habe ich es mir hier bequem gemacht. Guten Abend, Prorektor. Es freut mich, daß Sie so gesund aussehen.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher