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Der Goldene Kompass

Der Goldene Kompass

Titel: Der Goldene Kompass
Autoren: Philip Pullman
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Sie, was ich Ihnen aufgetragen habe.«
    »Sehr wohl, Mylord«, sagte der Butler. »Wenn ich einen Vorschlag machen dürfte: Vielleicht sollte ich Mr. Cawson sagen, was Ihr vorhabt, Mylord, oder er wird etwas erstaunt sein, wenn Ihr versteht, was ich meine.«
    »Gut, tun Sie das meinetwegen.«
    Mr. Cawson war der Steward, und zwischen ihm und dem Butler bestand eine alte Rivalität. Zwar stand der Steward über dem Butler, doch hatte dieser mehr Gelegenheit, sich bei den Wissenschaftlern einzuschmeicheln, und nutzte das auch weidlich aus. Die Aussicht, dem Steward zeigen zu können, daß er über die Vorgänge im Ruhezimmer besser informiert war als dieser, erfüllte ihn mit Entzücken.
    Er verbeugte sich und ging. Lyra sah, wie ihr Onkel sich eine Tasse Kaffee eingoß, sie in einem Zug leerte und sich noch eine Tasse einschenkte, die er langsamer trank. Gespannt überlegte sie, was in den Kisten sein mochte. Und eine Projektionslampe? Was hatte ihr Onkel den Wissenschaftlern zu zeigen, das so dringend und wichtig war?
    Lord Asriel stand auf und wandte dem Feuer den Rücken zu. Sie konnte ihn jetzt von vorn sehen. Wie sehr er sich doch von dem feisten Butler oder den Wissenschaftlern mit ihren kraftlos hängenden Schultern unterschied. Lord Asriel war hochgewachsen und breitschultrig, er hatte ein wildes, dunkles Gesicht und Augen, die wie in ausgelassenem Gelächter blitzten und funkelten. Es war ein Gesicht, dem man gehorchte oder gegen das man kämpfte, doch kein Gesicht, dem man mit Herablassung oder Mitleid begegnen konnte. Seine Bewegungen waren kraftvoll und vollkommen beherrscht; wenn er ein Zimmer wie dieses betrat, glich er einem wilden Tier in einem zu kleinen Käfig.
    In diesem Augenblick lag ein abwesender und besorgter Ausdruck auf seinem Gesicht. Sein Dæmon kam und lehnte den Kopf an seine Hüfte, und er sah sie mit seinen unergründlichen Augen an und wandte sich dann ab und ging zum Tisch. Lyra spürte, wie ihr Magen einen Satz machte, denn Lord Asriel hatte den Stöpsel aus der mit Tokaier gefüllten Karaffe gezogen und schenkte sich ein.
    »Nein!«
    Der leise Schrei war ihr entwischt, bevor sie ihn zurückhalten konnte. Lord Asriel fuhr herum.
    »Wer ist da?«
    Jetzt gab es kein Zurück mehr. Sie stolperte aus dem Schrank, rannte zu ihrem Onkel und schlug ihm das Glas aus der Hand. Der Wein schwappte über und spritzte auf die Tischkante und den Teppich, dann fiel das Glas auf den Boden und zersprang. Lord Asriel packte sie grob am Handgelenk.
    »Lyra! Was zum Teufel machst du hier?«
    »Laß mich los, und ich sage es dir!«
    »Zuerst breche ich dir den Arm. Wie kannst du es wagen, hier einzudringen?«
    »Ich hab dir gerade das Leben gerettet.«
    Einen Augenblick lang schwiegen beide, das Mädchen mit schmerzverzerrtem Gesicht, aber wild entschlossen, nicht zu schreien, ihr Onkel über sie gebeugt und mit finster gerunzelter Stirn.
    »Was sagst du da?« fragte er etwas ruhiger.
    »Der Wein ist vergiftet«, stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Ich habe gesehen, wie der Rektor ein Pulver hineingeschüttet hat.«
    Er ließ sie los. Sie sank zu Boden, und Pantalaimon flatterte aufgeregt auf ihre Schulter. Ihr Onkel starrte mit unterdrückter Wut auf sie herunter, und sie wagte nicht, ihm in die Augen zu schauen.
    »Ich wollte nur wissen, wie es hier aussieht«, sagte sie. »Ich weiß, ich hätte das Zimmer nicht betreten dürfen. Aber ich wollte wieder weg sein, bevor jemand kam, nur hörte ich dann den Rektor kommen und saß in der Falle. Der Kleiderschrank war das einzige Versteck. Und ich sah, wie er das Pulver in den Wein schüttete. Wenn ich nicht…«
    An der Tür klopfte es.
    »Das wird der Portier sein«, sagte Lord Asriel. »Zurück in den Schrank! Wenn ich das kleinste Geräusch höre, sorge ich dafür, daß du dir wünschst, tot zu sein.«
    Sie rannte zum Schrank zurück, und sobald sie die Tür hinter sich zugezogen hatte, rief Lord Asriel: »Herein!«
    Es war der Portier, wie er gesagt hatte.
    »Hierher, Mylord?«
    Lyra sah den alten Mann zögernd auf der Schwelle stehen, und hinter ihm war die Ecke einer großen Holzkiste.
    »Ganz recht, Shuter«, sagte Lord Asriel. »Bringen Sie beide Kisten herein, und stellen Sie sie neben den Tisch.«
    Lyra entspannte sich ein wenig und spürte nun die Schmerzen in Schulter und Handgelenk. Sie waren so stark, daß sie hätte losheulen können, wenn sie zu den Mädchen gehört hätte, die heulten. Statt dessen biß sie die Zähne
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