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Der Glückliche schlägt keine Hunde: Ein Loriot Porträt (German Edition)

Der Glückliche schlägt keine Hunde: Ein Loriot Porträt (German Edition)

Titel: Der Glückliche schlägt keine Hunde: Ein Loriot Porträt (German Edition)
Autoren: Stefan Lukschy
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Vervollständigung ihrer »Bewusstseinsbildung« zeitweilig in Fabriken. Sie wollten die Realität der Produktion kennenlernen und die Massen revolutionär agitieren.
    Nun gingen Loriot und ich, vom freundlichen Fabrikdirektor begleitet, durch die Werkshallen der Firma »Hanomag« und suchten nach einer Maschine, die den größtmöglichen Gegensatz zum kleinen, zähen Schinkenbrot darstellte. Sie sollte riesig und vor allem sehr laut sein. Als wir endlich die »Schnittpresse« gefunden hatten, beschlich mich ein seltsames Unwohlsein. Ich fühlte mich wie ein Voyeur an einem Ort, andem die Arbeitsbedingungen und der Lärm mir fast unerträglich erschienen. Ich sah zum ersten Mal in meinem Leben eine Fabrik von innen und hätte die Beschäftigten am liebsten zu politischen Themen befragt. Loriot hingegen war auf der Suche nach dem komischen Bild. War das erlaubt? Selbstverständlich war es erlaubt, denn am Ende blieb der Arbeiter in seiner Würde unangetastet, was nicht zuletzt Heinz Meiers ernster und dadurch umso komischerer Darstellung zu verdanken ist.
    Außer Heinz Meier und Heiner Schmidt, die schon bei »Cartoon« mit dabei waren, sollten die Schauspieler nach Möglichkeit vom Bremer Theater kommen. Unser Produktionsetat war begrenzt, und wir waren angehalten, Reisekosten und Spesen zu sparen.
    Das Bremer Theater war ein renommiertes Haus. Während der Intendanz von Kurt Hübner, die gerade vorüber war, inszenierten in Bremen die Shootingstars der aufkommenden Regietheater-Szene: Peter Zadek, Klaus Michael Grüber, Peter Stein, Rainer Werner Fassbinder und Wilfried Minks. Hübners Nachfolger Peter Stoltzenberg holte George Tabori ans Haus. Im Ensemble gab es viele hervorragende Schauspieler.
    Dennoch hatten wir Schwierigkeiten mit der Besetzung der weiblichen Hauptrolle für »Gran Paradiso«. Loriot schwebte eine kleine, vollschlanke, breithüftige, blonde deutsche Hausfrau und Mutti vor.
    Jürgen Breest, unser Redakteur, der das Ensemble des Bremer Theaters gut kannte, war ratlos: »So was haben die leider nicht am Haus. Aber es gibt da eine sehr begabte junge Schauspielerin, die ist zwar vom Typ her nicht ganz das, was ihr sucht, aber die solltet ihr euch vielleicht mal anschauen.«
    Gespannt warteten wir beim Casting auf das Erscheinen der »deutschen Mutti«. Die unbekannte Schauspielerin, diemit einem breiten Lächeln hereinkam, war groß gewachsen, gertenschlank, hatte eine gekräuselte Lockenmähne und trug eine verwaschene Jeans unter einer indischen Hippie-Bluse mit kleinen eingenähten Spiegeln – es war Evelyn Hamann.
    Loriots oft zitierte Bitte, sie solle auf Kosten des Senders mehrere Wochen täglich Schweinshaxen essen, um fülliger zu werden, erinnere ich zwar nicht, sehr wohl aber, wie wir sofort damit begannen, in den Masken und Kostümfundus zu marschieren, um Evelyn »umzubauen«. Hier kamen zwei Wesenszüge Loriots zusammen. Er wollte einerseits dem Sender keine Schwierigkeiten machen – es lag ihm daran, den Vorschlag des Redakteurs ernsthaft zu prüfen und ihm im Zweifel doch eine Chance zu geben, auch wenn Evelyn so ganz und gar nicht dem entsprach, was er erwartet hatte –, andererseits weckte die scheinbare Fehlbesetzung Loriots Ehrgeiz als bildender Künstler, und das ist hier im wahrsten Sinne des Wortes zu verstehen. Er betrachtete die junge Schauspielerin quasi als leeres Blatt seines Zeichenblocks und versuchte – ähnlich wie er es mit einer Trickfilmfigur gemacht hätte – sie so zu verwandeln und seinen Wünschen anzugleichen, dass sie in die Rolle passte.
    Bei Radio Bremen in Osterholz lagen Kostüm- und Maskenfundus direkt neben den Redaktionsgebäuden – ein Glücksfall. Wir gingen schnurstracks in die Kostümabteilung und suchten für Evelyn sommerliche Ferienkleidung heraus. Sie bekam, wie in Loriots Personenbeschreibung gefordert, türkisfarbene Shorts und einen geblümten BH sowie hochhackige Korkstrandschuhe und eine rote Holzkugel-Halskette verpasst, der flache Bauch blieb frei. Aber da war immer noch die lange Lockenmähne, die eher an eine rebellische Studentin als an eine brave deutsche Mutti erinnerte. Also ging es weiter in den Maskenfundus.
    Der Sender pflegte alles aufzuheben, was irgendwann für eine Produktion angeschafft worden war. Ich habe nie wiederin einem Fundus eine derart reichhaltige Auswahl an Brillen gesehen. Viele dieser Brillen sind später in Loriot-Sketchen »aufgetreten«. Bei Evelyn war es nicht die Brille, sondern eine blonde
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