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Der Glucksbringer

Der Glucksbringer

Titel: Der Glucksbringer
Autoren: Wilding Lynne
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einer ländlich gelegenen Farm? Die Suche nach ihm schien aussichtslos, dennoch mochte Rosemary die Hoffnung nicht aufgeben. Irgendein innerer Impuls – war es nun Mutterliebe, das Gefühl, gebraucht zu werden, oder ihre Zigeunerinstinkte – suggerierte ihr, dass er sich noch irgendwo in Sydney aufhielt. Ihre Augen schmerzten, weil sie aufmerksam jeden Passanten beobachtete, ihre Hüfte machte ihr Probleme, und erst ihre Füße! Sie hatte schon ein Paar Lederstiefel durchgelaufen. Und sie war mit zweiundvierzig beileibe nicht mehr die Jüngste. Sie drückte energisch das Rückgrat durch. Als Nächstes wollte sie sich die Wollgeschäfte an dem Platz vorknöpfen, den die Leute The Rocks nannten. Vielleicht hatte er dort Arbeit gefunden.
     
    »He, Liam, irgendwer muss wohl nach dir gefragt haben«, rief Tom, der Werftvorarbeiter, Liam nach, der eben mit einem Sack Mehl auf der gesunden Schulter über die Gangway schritt. »Eine Frau.«
    »Und, sah sie gut aus?«, brüllte der Arbeiter, der hinter Liam ging.
    »Keine Ahnung«, räumte Tom ein. »Herb meinte, sie wär klein gewesen. Schwarze Haare, schwarze Augen. Unheimliche Augen, fand Herb. Hat ihm ein Bild gezeigt, hatte aber kein bisschen Ähnlichkeit mit dir.« Tom kratzte sich den sonnenverbrannten Schädel. »Vermutlich bloß eine Namensverwandtschaft oder so. Witzig, nicht?«
    Wie vom Blitz getroffen ließ Liam den Sack Mehl fallen. Der riss dabei auf, und eine weiße Mehlwolke verteilte sich auf Gangway, Hosen und Stiefeln.
    »Verdammt, pass doch auf!«, erregte sich der Vorarbeiter.
Und brüllte zu dem Mann hinter Liam: »Schnell, hol einen frischen, trockenen Sack aus dem Lager.«
    »Wann war das?« Liam rieb sich den Bart und fixierte Tom. »Wann war sie hier?«
    »Vor einer Stunde oder so, glaub ich. Wurde ziemlich pampig, als Herb sie nicht aufs Gelände lassen wollte. Wär ja noch schöner – eine Frau auf dem Trockendock! Das bringt Unglück, das sag ich dir.«
    Liam schälte sich bereits aus der verschwitzten Lederweste, mit der er Schultern und Brustkorb bei der schweren körperlichen Arbeit schützte. Er hatte die dick gepolsterte Weste selbst genäht. Seine Kollegen hatten ihn anfangs damit aufgezogen, aber dergleichen prallte an ihm ab. Wer war hier der Krüppel? Er oder sie? Immerhin musste er auf seine gesunde Schulter achtgeben, sonst konnte er auch gleich verhungern.
    »Ich muss sie finden«, knirschte er. Er grapschte nach seinen Kleidern und dem kleinen Rucksack mit seinem Mittagsimbiss. Eilends schlüpfte er in sein Hemd und warf sich den Segeltuchbeutel über die Schulter.
    »Hey, was ist mit deiner Schicht? Du hast noch gut drei Stunden zu schuften«, brüllte Tom ihm entnervt hinterher. Liam rannte davon unbeeindruckt weiter in Richtung Tor. »Und wer ist sie überhaupt? Deine Alte?«
    Liam riss sekundenlang den Kopf herum und bedachte Vorarbeiter und Kollegen mit einem breiten Grinsen. »Nee, ihr Hohlköpfe. Sie ist meine Ma .«

5
    Herbst 1910
     
    D as Sonnenlicht, das durch das Ladenfenster einströmte, verlieh den ausgestellten Juwelen funkelndes Feuer. Das Geschäft läuft gut , sinnierte Rosemary, während sie einem ihrer vielen zufriedenen Kunden nachschaute. Sie wünschte, ihr Sohn wäre auch so zufrieden, er wirkte jedoch die meiste Zeit deprimiert und niedergeschlagen. Seit Liams unfreiwilliger Passage nach Sydney waren inzwischen gut acht Jahre vergangen, und ihr erstes gemeinsames Jahr war gewiss kein Zuckerschlecken gewesen. Der Aufbau der Goldschmiede, ein neues, unbekanntes Land, die fremden Menschen – und der Versuch, seine große Liebe Corinne zu vergessen – hatten ihre Spuren hinterlassen. Von seinen körperlichen Blessuren sah man so gut wie nichts mehr, trotzdem hatte er in all den Jahren kein bisschen Interesse an anderen Frauen gezeigt. Rosemary hatte mehrmals vergeblich versucht, ihn zu verkuppeln. Es war zwecklos – er interessierte sich für keine andere außer Corinne. Vor ein paar Tagen hatte er sich dann entschlossen, die Topasbrosche zu verkaufen.
    »Gib jemand anderem die Chance auf sein Glück«, hatte er zynisch angemerkt, obwohl ihm die wahre Bedeutung der gälischen Worte, die er selbst auf der Rückseite der Anstecknadel eingraviert hatte, verschlossen geblieben war. Rosemary hatte ihm den Sinn nie näher erläutert, weil er ihrem alt überlieferten Wissen um die Kunst der Magie ohnehin skeptisch gegenüberstand. Und vielleicht war es sogar besser, wenn er keine Ahnung
hatte. Sie hatten lange
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