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Der globale Polizeistaat

Der globale Polizeistaat

Titel: Der globale Polizeistaat
Autoren: Thomas Darnstädt
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lang, viel zu lang.« Seine Piloten waren sofort da, flogen ran, winkten - die Passagiere winkten zurück, offenbar gut gelaunt. Entwarnung nach Uedem. Über Kopenhagen schließlich meldeten die Piloten sich wieder per Funk, ein Versehen. Entschuldigung.
    Und wenn keiner winkt? Dann beginnt die zweite Phase: »Intervention«. Es gibt jetzt einen »Transfer of Authority«: Die
Zuständigkeit fürs Air-Policing geht geräuschlos von der Nato auf die Bundesregierung über. In Uedem immerhin von einem Dienstraum in den danebenliegenden. Wieder so ein verfassungsrechtliches Verwirrspiel: Die Nato hat im Frieden zwar eine grenzübergreifende Wachaufgabe. Wenn es ernst wird, im Krieg gegen den Terror, sollte man meinen, hat das Militärbündnis diese Aufgabe erst recht. Weil der Krieg gegen den Terror aber nun gerade kein Krieg oder kein richtiger Krieg ist, liegt die Kriegsführung im Landesinnern aber in Berlin, nicht in Brüssel. Von nun an kann geschossen werden.
    Soll man schießen? Eine Eskalation der Verantwortung: Der »Air Surveillance Officer« (Aso) des Kontrollraumes gibt die Frage außer Haus zum Inspekteur der Luftwaffe. Der Inspekteur der Luftwaffe gibt die Frage an den Verteidigungsminister in Berlin. Das dauere, sagt der Aso vom Dienst, wenige Minuten, er habe alle Telefonnummern. Derweilen haben sie auf dem Bildschirm in Uedem alle Angaben über den Flugzeugtyp, der da oben im Visier der Jäger ist. Alle Angaben aus der Passagierliste - kennen wir jemanden? Die digitalen Speicher laufen weltweit heiß. Direktkontakt mit der Fluggesellschaft: Wie viele Leute sind normalerweise im Cockpit?
    Frage nach oben: Wie viele Leute seht ihr im Cockpit? Ist da einer zu viel? Oder zu wenig?
    Oben fliegen die Kameraden zu zweit, während unten telefoniert wird. Eine Weile fliegen sie neben dem feindlichen Zielobjekt her, versuchen Kontakt aufzunehmen. Nur ein unverbesserlicher Jurist würde in so einer Lage fragen, ob das da oben von Rechts wegen eigentlich noch »Kameraden« sind, oder ob die jetzt nicht eigentlich als Polizisten unter Kommando des Innenministers - dessen Bild ja da unten auch hängt - ihre Bordwaffen scharf machen.
    Was dann kommt? Dann versuchen sie mit Flugmanövern, den Piloten der verdächtigen Maschine von seinem mutmaßlichen Terrorkurs abzudrängen.
    Und dann?
    Dann feuern sie Warnschüsse aus der Bordkanone.

    Und dann?
    Dann dreht der vordere Jäger ab. Der Pilot des zweiten Jägers hat jetzt freies Schussfeld auf die Passagiermaschine. Unter der Nase seiner Maschine hängt eine Bordkanone, mit rund 70 Schuss in der Sekunde. Unter den Tragflächen hängen mehrere Luft-Luft-Raketen.
    Und dann?
    »Tja«, sagt Oberst Bohn, »das ist dann eine Entscheidung der Politik.« Es ist alles so genau ausgetüftelt in diesem Gespensterkrieg, hightech und highlaw, Transfer of Authority und Staatsverträge, niemand, nicht mal ein kleiner Leichtflieger, entkommt der Terrorabwehr, doch am entscheidenden Punkt klafft eine entscheidende Lücke: Was geschehen soll, wenn alles Flügelwackeln, alle Abdrängversuche gescheitert sind, weiß niemand. Für den Piloten des Abfangjägers liegt zwar der rote Knopf, mit dem er feuert, jederzeit in Reichweite. Der drückt jedoch nur, wenn der Befehl vom Boden kommt. Und auf dem Boden, im Geltungsbereich des Grundgesetzes, gibt es keine Rechtsgrundlage für einen solchen Befehl, der mit Sicherheit über hundert hilflose Passagiere und Besatzungsmitglieder des Flugzeuges in Terroristenhand das Leben kosten würde. Das Bundesverfassungsgericht hat 2006 das Abschießen von Passagierflugzeugen in Terroristenhand verboten, weil darin eine Verletzung der Menschenwürde Unschuldiger läge. Der Bundesverteidigungsminister hat angekündigt, er werde den Befehl zur Aktivierung des roten Knopfes trotzdem notfalls geben - im Krieg gegen den Terrorismus könne manchmal auf die Menschenwürde oder was das Bundesverfassungsgericht dafür hält, keine Rücksicht genommen werden. Verteidigungsexperten weisen darauf hin, dass die Piloten sich verfassungswidrigen Befehlen verweigern könnten, andere fügen hinzu, sie seien sogar verpflichtet, sich zu weigern. Strafrechtsprofessoren diskutieren, ob ein Minister bestraft werden kann, der die Piloten trotzdem zur Tötung anweist, andere wieder weisen darauf hin, Piloten müssten Angst vor Strafe haben, wenn sie einen Befehl befolgen, den sie nicht
befolgen dürfen. Die Situation am Himmel ist ausgesprochen übersichtlich, gemessen an der
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