Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der globale Polizeistaat

Der globale Polizeistaat

Titel: Der globale Polizeistaat
Autoren: Thomas Darnstädt
Vom Netzwerk:
Rechtslage am Boden.
     
    In Uedem machen sie derweil unverdrossen ihren Dienst. Bohrenden Fragen begegnen sie mit Nachsicht: »Der Abschuss ist ja nur das letzte, außerordentliche Mittel einer ganzen Reihe von möglichen Maßnahmen.« Wer weiß, ob es jemals so weit kommt.
    Und der Innenminister wird schon gewusst haben, warum er dem Autor in Uedem alle Türen öffnen ließ, dass er sich nur umschaue in der geheimen Wunderwelt der Terrorabwehr: Augenscheinlicher als bei den freundlichen Militärs mit ihrem Transfer of Authority kann die tragische Schizophrenie der Beteiligten kaum werden. Was sie da eigentlich tun und zu welchem Zweck - mit den Kategorien des Rechtsstaates lässt es sich nicht beschreiben. Dass sie es trotzdem tun, muss jeden rechtskundigen Zuschauer zugleich empören und beunruhigen - denn: Was soll man sonst tun? »Was soll ich denn tun?«, fragt der Innenminister schulterzuckend den kritischen Fragesteller: Er könne doch nicht tatenlos hinnehmen, dass Terroristen mit einem gekaperten Flugzeug beispielweise auf ein Kernkraftwerk zufliegen. Uedem ist gleichsam die Hightechversion der uralten Frage: Gibt es ein überrechtliches Recht des Ausnahmezustandes? Die verfassungswidrige, aber rettende Tat? Und wer soll im Notfall darüber entscheiden? Der Innenminister?

»Der Mann der Stunde«
    Nachdenken über den Ausnahmezustand - Carl Schmitts
Freunde und Feinde - Menschenopfer für den Staat -
Von Weimar nach Guantanamo
     
    »Ausnahmezustand«. Das Wort hat im Staat des Grundgesetzes lange Zeit den Beigeschmack von Umsturz gehabt. »Ausnahmezustand«: Das ist die Rechtlosigkeit, die autoritäre Regime ausrufen,
wenn sie nicht mehr weiterwissen. »Ausnahmezustand«: Die Freiheiten der Verfassung sind suspendiert, die Gewaltenteilung auch, es darf geschossen werden. »Ausnahmezustand«: Die Behauptung der inzigartigkeit der Situation, ihrer Unvorhersehbarkeit, ihrer mangelnden Beherrschbarkeit durch die herkömmlichen Instrumente des Rechts wird stets mitgeliefert. »Ausnahmezustand«: Der Feind steht vor der Tür des Rechtsstaates, der »absolute Feind« (so der Staatsrechtler Josef Isensee), der mit regulären Mitteln nicht zu besiegen ist, kurz: der Terrorist.
    Dass ein »Ausnahmezustand« über den Staat des Grundgesetzes kommt, haben die Autoren der deutschen Nachkriegsverfassung ausschließen wollen. »Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist«, so steht es in Artikel 20 des Grundgesetzes, und um die Garantie bombensicher zu machen, ist in Artikel 79 ausdrücklich verboten, an diesem iderstandsrecht etwas zu ändern, auch nicht ausnahmsweise. Dabei ist die Wortwahl der Vorschrift, die in sechzig Jahren Grundgesetz zum Glück noch nie gebraucht wurde, genau zu beachten: Der Widerstand gilt nicht nur dem, der die Verfassung beseitigt, sondern schon dem, der dies »unternimmt«. Strafrechtler kennen die Strenge solcher »Unternehmensdelikte« - da reicht schon ein erster Schritt in die falsche Richtung. Da hilft auch nicht die gängige Ausflucht aller, die über Ausnahmen reden - dass sie ja nur die Regel, das Recht, bestätigen, dass jemand, der den Ausnahmezustand wolle, ja die Verfassung in all ihrer Geltungskraft geradezu bestärke, dass er, kurz gesagt, die Ausnahme ja gerade nicht zur Regel machen wolle 4 . Diese Leute haben das Prinzip des Rechtsstaates nicht begriffen, der Ausnahmen nur zulässt, wenn es rechtlich geregelte Ausnahmen sind, und damit eben doch Regeln. Solchen Leuten, das zeigt ja gerade die deutsche Geschichte, darf man nicht glauben. Und dass das Grundgesetz in dieser Frage keine Ausflüchte zulässt, zeigt sich an der Ausgestaltung unserer Ordnung als »wehrhafte Demokratie«. Auch ausnahmsweise, so gilt,
dürfen Menschenwürde, Wahlgleichheit, Meinungsfreiheit nicht außer Kraft gesetzt, sondern allenfalls eingeschränkt werden. Auch ausnahmsweise gilt das Verhältnismäßigkeitsprinzip für jedes Handeln des Staates den Bürgern gegenüber. Ausnahmegerichte, die tödlichsten Beispiele für ein bisschen Ausnahme von der Regel, bleiben verboten: Das ist die Regel, ohne Ausnahme, in Artikel 101 des Grundgesetzes.
    Umso erstaunlicher ist die Unbefangenheit, mit der Staatsrechtler und Politiker im Geltungsbereich des Grundgesetzes über die ersten Schritte in den Ausnahmezustand reden. Die Welt und Deutschland leben in Angst vor dem Terrorismus. Dies ist die Stunde der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher