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Der globale Polizeistaat

Der globale Polizeistaat

Titel: Der globale Polizeistaat
Autoren: Thomas Darnstädt
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Menschenrechte, Terrorismus. Jedes dieser Wörter bedeutet in seinem Kontext exakt das Gegenteil, was es einst bedeutete.« Es ist das Verdienst des FAZ -Mitherausgebers Frank Schirrmacher, vor den Wirkungen dieses Kulturbruchs auf das deutsche Verfassungsdenken gewarnt zu haben, als George W. Bush noch im Amt war. Schirrmacher neigt zu apokalyptisch-euilletonistischen Visionen. Doch diesmal übertreibt er nicht: »Besonders in Deutschland, mit seiner historisch gewordenen Dankbarkeit gegenüber den Befreiern von 1945« werde sich erst nach Bushs Abgang »das ganze Ausmaß des moralischen Ruins zeigen«, das dieser Krieg gegen den Terror über den Staat des Grundgesetzes gebracht habe: »Die Kriegserklärung an den Terrorismus hat längst Züge einer Kampfansage an das überlieferte europäische Menschenbild.«
    Das Neusprech hat Europa ja längst erobert. Da gibt es »humanitäre Kriegseinsätze« wie etwa 1999 zum Schutze des Kosovo, da sehen »Friedenstruppen« der Vereinten Nationen untätig einem Völkermord zu wie 1995 in Srebrenica, wo bosnische Serben 7000 bis 8000 muslimische Männer ermordeten. »Frieden wird Krieg und Krieg wird Frieden«, stellt Beck fest. »Crime is crime is crime«, statuierte trotzig die ehemalige britische Regierungschefin Margaret Thatcher gegen die allgemeine Verwirrung angesichts der Suche nach der richtigen Bezeichnung für Terrorismus.
    So einfach ist es ja nun auch nicht. Allzu oft lassen sich terroristische Aktionen seitens Verbrecherbanden nicht mehr trennen von den Aktionen des Staates, der eigentlich solchen Großverbrechen
begegnen sollte. Waren die Taliban in Afghanistan zur Zeit des 11. September 2001 nicht Inhaber der Staatsgewalt? Hat nicht selbst die vom Terror angeschlagene Supermacht Amerika nun ihre Soldaten losgeschickt, um eben die Leute als Terroristen zu jagen, denen sie einst, in Irak wie in anderen Staaten, zu den Insignien der Macht verholfen hatte? Und der einstige serbische Staatspräsident Slobodan Milosevic - war er, bevor er starb, nicht vor dem Jugoslawien-Tribunal in Den Haag wegen Grausamkeiten angeklagt, die ohne weiteres als Terrorismus zu bezeichnen sind? Es gibt Völkerrechtler, die schon lange fordern, den Terrorismus den anderen enschenrechtsverbrechen vor den internationalen Strafgerichten gleichzustellen.
    Der Regensburger Rechtsphilosoph Michael Pawlik hat 2008 diagnostiziert, dass die globale Bedrohung mit unkontrollierbarer Gewalt »das labile psychische Gewebe westlicher Gesellschaften erschüttert und zum Reißen bringt«. 2 Wenn ein Jurist über Psychologie schreibt, muss man vorsichtig sein. Doch seine Fetstellung macht die Dramatik der Situation deutlich: Es ist nicht nur das Recht des Rechtsstaates Bundesrepublik, das in Gefahr gerät, es ist die Denkweise, die dahintersteht, das »psychische Gewebe«. Die Gesellschaft ist derart verschüchtert - sei es durch die terroristische Bedrohung, sei es durch die brachiale Reaktion staatlicher Instanzen darauf -, dass das alte Spiel zwischen Bürgern und Staat abgebrochen wurde. Nach dem Gesellschaftsspiel, wie es in den Anleitungen der freiheitlichen europäischen Verfassungen beschrieben ist, sitzen sich die zwei gegenüber und bewachen ihre Grenzen: Die Bürger sehen ihre Freiheit durch einen Staat gefährdet, der seine rechtlichen Grenzen nicht einhält; der Staat sieht seinen Schutzauftrag gegenüber den Bürgern gefährdet, wenn die Bürgerrechte ihm zu viele Fesseln anlegen. Spielziel: die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit. Nun aber haben sich, wie dies der ehemalige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts Winfried Hassemer ausdrückt, »Staat und Bürger untergehakt«, sie vergessen ihre Rivalitäten, sie halten in der Not zusammen gegen
das unheimliche Böse, das alle bedroht: die Ordnung des Staates wie Leben und Freiheit der Bürger.
    Bundesweite Speicherung von Passdaten, elektronischer Fingerabdruck, abgehörte Telefone, schließlich und endlich der Onlinezugriff auf private Computerfestplatten. All dies, so scheint es, muss sein im Kampf gegen den Terrorismus - das »psychische Gewebe« der Gesellschaft ist nur insoweit intakt, als in Ermächtigungen für den kontrollierenden, eingreifenden Staat das geringere Übel, vielleicht sogar die Befreiung vom Bösen vermutet wird.
    Diese psychische Konstellation mag es sein, aus der heraus Wissenschaftler wie der Kölner Staatsrechtsprofessor Otto Depenheuer den »Weltbürgerkrieg«, in den der Terrorismus münde, als Anlass
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