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Der Gipfel

Der Gipfel

Titel: Der Gipfel
Autoren: Anatoli Boukreev , G. Weston DeWalt
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zu Lager III fiel mir auf, daß viele der Kameraden sich nur ganz langsam bewegten und sichtlich unter der Höhe und Kälte litten. Bis achtzehn Uhr hatten es acht in der Dunkelheit bis Lager III geschafft, doch irgendwo weiter oben mußte Mikhaelov und Grekov etwas zugestoßen sein. In Lager IV hatten sie einen guten Eindruck gemacht und waren bereit, mit uns abzusteigen, aber jetzt waren sie vermißt. Über Funk wurden wir vom Basislager informiert, was man von dort aus beobachtet hatte.

    Kurz nach Beginn unseres Abstiegs hatte man durch Ferngläser und Teleobjektive die zwei Vermißten im Schnee auf einem Steilhang knapp unterhalb Lager IV gesichtet. Es sah so aus, als hätten sie ihre Kräfte falsch eingeschätzt und konnten nun nicht mehr weiter.
    Kaum hatten wir die Nachricht erhalten, als Shafkat Gataullin, ein junger Kasache, und ich uns wieder an den Aufstieg machten, ohne uns Zeit zum Aufwärmen oder für ein heißes Getränk zu nehmen. Obwohl uns die Dunkelheit sehr behinderte, knipsten wir unsere Stirnlampen immer wieder aus, weil wir befürchteten, die Batterien könnten im kritischen Moment leer sein. Nach drei Stunden fanden wir schließlich die beiden auf dem Eis liegend. Einem von ihnen waren irgendwie die Steigeisen heruntergerutscht, und er hatte nicht mehr die Kraft gehabt, sie wieder an seinen Stiefeln zu befestigen. Ich stellte die beiden auf die Beine, machte sie an meinem Klettergürtel fest, und mit Gataullins Hilfe stiegen wir durch Nacht und Nebel ab, bei Temperaturen, die so tief waren wie in der Nacht vor unserem Gipfelsturm.
    Knapp oberhalb von Lager III kamen ein paar kasachische Teammitglieder, die das Licht der Stirnlampen gesehen hatten, Boukreev und den anderen entgegen, um ihnen heißen Tee zu bringen. Vom Anblick der erleuchteten Zelte aufgemuntert, nahmen Mikhaelov und Grekov das Getränk in Empfang. Ein Augenblick der Ablenkung durch den Tee und die Nähe des Lagers genügten – schon verlor einer sein Gleichgewicht, kam auf dem Eis ins Rutschen und riß den zweiten und Boukreev über eine fünfzehn Meter hohe Eismauer über die Manaslu flanke hinunter.

    Ich wurde mit einem Ruck von meinem Eispickel losgerissen, den ich als Sicherung für die beiden eingerammt hatte. Die Rutschpartie über den Hang und der Zwanzig-Meter-Sturz über die Wand wurde von dem Seil gehalten, das ich verankert hatte, als wir rasteten, um unseren Tee zu trinken. Niemand wurde ernsthaft verletzt, aber ich hatte bei dem Sturz meine Handschuhe verloren. In den fünfzehn Minuten, die vergingen, bis wir unsere Zelte in Lager III erreichten, spürte ich, wie meine Hände immer mehr erstarrten. Glücklicherweise waren sie aber der Kälte nur kurz ausgesetzt, so daß ich keine bleibenden Schäden davontrug.
    Später sollte Boukreev sagen: »Soviel Glück gibt’s gar nicht auf der Welt. Damals habe ich ein Extrastück abgekriegt.« Nachdem er mit dem kasachischen Team – allesamt wohlbehalten und ohne Erfrierungen – in Kathmandu eingetroffen war, sah Boukreev bei P. B. Thapa von Him-Treks, Fischers Agent, vorbei. In den Wochen von Boukreevs Manaslu-Expedition hatte Mountain Madness ihm etliche Briefe gefaxt. Fischer wollte, daß Boukreev schleunigst Poisk in St. Petersburg kontaktieren und Sauerstoff bestellen sollte. Außerdem sollte er bei den Herstellern im Ural das Zelt anfertigen lassen. Ausgelaugt von den rasch aufeinanderfolgenden Besteigungen zweier Achttausender kehrte Boukreev zu einem kurzen Erholungsurlaub nach Kasachstan zurück, nicht zuletzt, weil er seine seit einem Jahr verwitwete Mutter wieder sehen wollte. Nach einer Neujahrsfeier mit Freunden reiste er nach Rußland, um das Geschäftliche zu erledigen. Auf der Fahrt nach St. Petersburg, an einem grauen, frostigen Tag, kam Boukreev erst richtig zu Bewußtsein, was für ein Glück es für ihn bedeutete, daß er bei Fischer unterschrieben hatte. Er kannte die Redeweise, daß im Winter die Kasachen, Georgier, Ukrainer und andere »Fremde« an den Straßenecken Schischkebab über kleinen Feuern verkaufen mußten, während die Russen an den Hochöfen der Stahlindustrie arbeiteten. Obwohl er gebürtiger Russe war, identifizierte sich Boukreev stark mit den Kasachen seiner Wahlheimat; außerdem gehöre er als Hochalpinist ohnehin einer Minderheit an, pflegte er zu scherzen. Er war jedenfalls froh, daß er nicht auf der Straße stehen und ein Kohlenfeuerchen in Gang halten mußte.
    Trotz aller Bemühungen hatte er bis zum 29. Januar noch
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