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Der Gipfel

Der Gipfel

Titel: Der Gipfel
Autoren: Anatoli Boukreev , G. Weston DeWalt
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vernünftig.‹«
    Lenes Entschluß stand unumstößlich fest. »Dann fragte Scott mich, ob ich im Frühjahr 1996 auf den Everest wolle.« Ohne zu zögern, ohne auch nur einen Moment zu überlegen, sagte sie zu. Noch nie hatte eine Skandinavierin den Everest geschafft. Jahrelang hatte sie davon geträumt. Es gab also doch noch einen Berg für sie.
    »Ich flog zurück nach Dänemark und dachte, ›mal langsam, erst will ich sehen, ob der Bursche den Broad Peak überlebt. Wenn nicht, kommt die Everest-Expedition sowieso nicht zustande.‹ Deshalb unternahm ich nichts, bis die Nachricht eintraf, daß er wohlbehalten unten angekommen war. Dann erst machte ich mich daran, Sponsoren zu finden.«
    Fischer, der Lene Gammelgaard unbedingt dabeihaben wollte, hatte ihr angeboten, ihr bei der Sponsorensuche behilflich zu sein. »Es war Schwerarbeit, acht bis zehn Stunden täglich, unausgesetzt Telefonate, Briefe, Werbung, wobei die Presse ein gewisses Image in der Öffentlichkeit schaffen und das Interesse potentieller Geldgeber wecken sollte«, erklärte sie. »Es war eine Art strategisch geplanter Medieneinsatz zur Geldbeschaffung.«
    Fischer hatte Erfahrung im Geldauftreiben und unterstützte Lene, obwohl er körperlich nicht ganz auf der Höhe war. »Im Januar hatte er eine große Expedition zum Kilimandscharo vor«, berichtete sie. »Bis zum Everest-Projekt hatte er ein knochenhartes Programm. Ich war entsetzt, wie erschöpft er war. Völlig ausgelaugt. Das sollte sich auch nicht ändern. Immer wieder warf es ihn um. Aber wozu hat man Freunde – deshalb versuchte ich alles, was in meiner Kraft stand. Ich riet ihm, du mußt total ausspannen, ein halbes Jahr, vielleicht sogar ein ganzes. Er hat sich ein Leben lang verausgabt und es bislang immer verkraftet, weil er körperlich unheimlich stark war.«
    Lene wußte, daß Fischer seine persönlichen Grenzen er reicht hatte. Nach seiner Expedition zum Broad Peak hatte er ihr 1995 geschrieben, daß er zurückstecken müsse. »Ich muß lernen, demütig zu sein, weil ich mein Leben nicht am Berg lassen möchte.«
    Sie war der Meinung, daß er vor allem an einem Imageproblem litt, weil er glaubte, dem Bild gerecht werden zu müssen, das sich alle von ihm gemacht hatten. »In Pakistan war ich richtig geschockt, als ich bemerkte, daß die Leute vom Versorgungstreck ihn nur als Helden sahen und den Menschen dahinter überhaupt nicht wahrnahmen. Es war eine so wirklichkeitsferne Heldenverehrung, daß ich mir dachte ›Ist das ein amerikanisches Symptom? Wie kann man nur so blind sein?‹ Ich glaube, auch die Leute von Mountain Madness – seine Geschäftspartner – haben ihn nicht gebremst und gesagt: ›Jetzt mal langsam, du mußt wieder Tritt fassen.‹ Man brauchte ihn, damit er Geld organisierte, und er hat mitgemacht. Deshalb ist er selber schuld und niemand anders. Er ist schließlich ein erwachsener Mensch.«

    Am 6. Dezember hatten die Kasachen und ich, insgesamt zehn Mann, auf dem Manaslu eine Höhe von 6800 Meter erreicht und dort eine extrem kalte Nacht mit einer Außentemperatur von minus vierzig Grad Celsius verbracht. Am nächsten Tag kamen wir bis auf 7400 Meter und errichteten auf einer Plattform aus hartgepacktem Schnee Lager IV, unser höchstes, von dem aus wir zum Gipfel aufsteigen wollten. In jedem unserer zwei Vier-Mann-Zelte drängten sich fünf Expeditionsteilnehmer. In der Nacht tobte ein Sturm mit einer Geschwindigkeit von fast hundert Stundenkilometern. Ein Blick aufs Thermometer zeigte mir, daß die Temperatur kaum über minus zwanzig Grad Celsius stieg.

    Am nächsten Morgen um vier Uhr begannen die Vorbereitungen zum Gipfelsturm, zu dem man gemeinsam aufbrechen wollte. In den engen Zelten konnten sich aber unmöglich alle gleichzeitig anziehen, so daß man sich schließlich dafür entschied, einer nach dem anderen zu gehen. Um sechs Uhr begannen die ersten ihren Aufstieg über einen sanft geneigten, mit hartem Schnee und Eis bedeckten Hang, der zum über hängenden Gipfelgrat führte. Zwischen zehn und elf Uhr dreißig erreichten acht der zehn Teilnehmer den Gipfel. Zwei weitere, Michael Mikhaelov und Demetri Grekov, waren unterhalb des Gipfels umgekehrt, da sich bei ihnen schon bald Ermüdungserscheinungen gezeigt hatten.

    Bis vierzehn Uhr waren alle acht Teilnehmer, die es bis zum Gipfel geschafft hatten, wieder in Lager IV, wo Michael Mikhaelov und Demetri Grekov bereits warteten. Wir wärmten uns kurz auf und machten uns dann an den Abstieg. Unterwegs
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